Widerstrebende Verbindlichkeiten
Von der Leyens Kommission scheitert an den Machtkämpfen in der EU
Von Andreas Wehr, 11. Oktober 2019
„Viel schlechter hätten die Anhörungen der 26 Mitglieder der nächsten Europäischen Kommission vor dem Europaparlament (EP) für die gewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kaum beginnen können“, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 30.09.2019. Der ungarische Kandidat, Lázló Trócsányi und die rumänische Kandidatin, Rovana Plumb, waren da bereits durchgefallen.
Der rumänischen Sozialdemokratin wurde zum Verhängnis, dass sie einen Kredit von 17.000 Euro aufgenommen und das Geld dann an ihre Partei PSD zur Finanzierung ihrer Wahlkampagne gespendet hatte. Solche Spenden von Kandidaten sind jedoch überall üblich - auch in Deutschland. Dem Ungarn Lázló Trócsányi wurde vorgeworfen, an einer Rechtsanwaltspraxis beteiligt gewesen zu sein, die in seiner Zeit als Minister Regierungsaufträge erhalten habe. Die ungarische Regierung zog darauf ihren Kandidaten zurück und ersetzte ihn durch den früheren Botschafter des Landes bei der EU. Auch Bukarest hat angekündigt, einen neuen Kandidaten zu benennen.
Die Anklagen gegen die beiden wirkten aber reichlich konstruiert. Im Hintergrund standen ganz andere Dinge: „Tatsächlich hatte in der politischen Debatte, in der Trócsányi von der politischen Linken im EU-Parlament kritisiert wurde, vor allem seine Mitwirkung an Gesetzen eine Rolle gespielt, mit denen Ungarn in der Flüchtlingsfrage engagierte NGOs einschränkt.“ (FAZ vom 28.09.2019) Und der EP-Rechtsausschuss „erwähnt in seinem Beurteilungsschreiben (…) Trócsányis Verbindungen mit Russland.“ (FAZ vom 30.09.2019) Bei der Ablehnung Plumbs dürfte eine Rolle gespielt haben, dass sie aus der sozialdemokratischen Partei kommt, die man in Brüssel für die grassierende Korruption im Land verantwortlich macht.
Ganz anders ging man mit Vorwürfen gegen die liberale französische Kandidatin Sylvie Goulard um. Ihr wird angelastet, als Europaabgeordnete einen Assistenten beschäftigt zu haben, der für die liberale Partei gearbeitet hatte – ein klassischer Fall illegaler Parteienfinanzierung. Goulard musste deshalb bereits als Verteidigungsministerin zurücktreten, und die EU-Betrugsbehörde OLAF ermittelt gegen sie. Auch wirft man ihr vor, ein Honorar von 10.000,- Euro monatlich (!) für eine Beratertätigkeit für die „Denkfabrik“ des deutsch-amerikanischen Finanziers Nicolas Berggruen erhalten zu haben. Doch anders als die Kandidaten aus Ungarn und Rumänien ließ der Rechtsausschuss sie passieren. Und es ist auch nicht zu erwarten, dass Goulard im zuständigen Fachausschuss durchfallen wird. Ganz offensichtlich kann jemand, der als Verteidigungsminister nicht mehr tragbar ist, dennoch EU-Kommissar für das wichtige Ressort Binnenmarkt werden.
Die Anhörungen der Kandidaten für die nächste Europäische Kommission verlaufen entlang der Gräben, die die EU durchziehen - und die liegen zwischen Nord und Süd sowie zwischen Ost und West. Vor allem den osteuropäischen Ländern verübelt man in Berlin, Paris und Brüssel ihre Weigerung, eine gemeinsame europäische Migrationspolitik mitzutragen.
Doch es geht auch um die Kommissionspräsidentin selbst. Das Ergebnis ihrer Wahl war denkbar knapp. Im Juli 2019 wurde von der Leyen im Europäischen Parlament von nur 383 der 747 Abgeordneten gewählt. Sie erhielt damit gerade einmal neun Stimmen mehr als notwendig. Sie wäre durchgefallen, hätten nicht auch die Abgeordneten der polnischen Rechtspartei PiS und jene des italienischen Movimento 5 Stelle (M5S) für sie gestimmt, die damals noch im Bündnis mit der rechten Lega standen. Wichtig für ihre Wahl war auch, dass der ungarische Präsident Viktor Orbán unter den osteuropäischen Parlamentariern für sie warb. So etwas schafft Abhängigkeiten. Und so zielen die Angriffe auf die Kandidaten aus Ungarn und Rumänien auch auf Ursula von der Leyen. Ihr Handlungsspielraum soll frühzeitig eingeengt werden, indem sie von ihren Unterstützern getrennt wird, noch bevor die neue Kommission am 1. November ihr Amt antritt.
Der Artikel erschien am 11. Oktober 2019 in der Wochenzeitung Unsere Zeit (UZ)
Nachtrag: Inzwischen hat der zuständige Fachausschuss des Europäischen Parlaments die Kandidatur von Sylvie Goulard mit Mehrheit abgelehnt. Der Ausschuss setzte sich dabei gegen Empfehlungen des französichen Präsidenten Emmanuel Macron als auch von Ursula von der Leyen hinweg.
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