Billige Arbeitskräfte und Kampf um die besten Köpfe
Vortrag von Andreas Wehr vor der MASCH-Hochschulgruppe Hamburg am 24. Oktober 2019
Die Aufnahme von mindestens 850.000 Menschen in der Zeit bis zur Schließung der Balkanroute Ende Februar 2016 war der bisherige Höhepunkt eines seit Jahren anhaltenden Zustroms von Flüchtlingen bzw. Arbeitsmigranten.
Wie viele Asylgesuche gestellt wurden, um Schutz nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vor Verfolgung aus „Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung“ zu erhalten, lässt sich nicht genau sagen.
Die Anerkennungs- und Ablehnungsquoten von Asylanträgen für die Jahre 2006 bis 2018 besagen: 16 Prozent wurden als Asylsuchende anerkannt, 11 Prozent erhielten subsidiären Schutz[2], 37 Prozent der Anträge wurden abgelehnt, in 5 Prozent der Fälle wurde ein Abschiebungsverbot ausgesprochen und bei 31 Prozent erledigten sich die Gesuche, da die Antragsteller zurückkehrten, in andere Länder weiterzogen oder ihren Asylantrag zurückzogen.
Die Anerkennungsquote von 16 Prozent entspricht die vergleichbarer europäischer Staaten. Im Rotgrün regierten Schweden lag sie im Jahr 2017 bei 17 Prozent. Die Zahlen zeigen zugleich: Der überwiegende Teil der Asylbewerber kam nicht als Flüchtling entsprechend den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention.
Rechnet man die Anerkennungsquote aus Gründen des Asyls von 16 Prozent und den Anteil der subsidiären Schutz Genießenden von 11 Prozent zusammen, so wurden die übrigen knapp Zweidrittel der Asylanträge gestellt, um hier leben und arbeiten zu können. Das Asylverfahren wird damit im überwiegenden Maß zur Migration genutzt. Die notwendige Bewahrung seines eigentlichen Zwecks, die Schutzgewährung für Verfolgte, ist damit gefährdet. Es besteht die Gefahr, dass es aufgrund dieses massenhaften Missbrauchs gänzlich zur Disposition gestellt wird.
Die Kalkulation vieler Arbeitsmigranten, mit Hilfe des Asylverfahrens einen dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland erlangen zu können, geht in den allermeisten Fällen auf.
Nur verhältnismäßig wenige in Deutschland rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber wurden in ihre Heimatländer abgeschoben. 2016 waren es 25.375, im Jahr 2017 ging die Zahl auf 23.966 Menschen zurück. Von 2000 bis 2017 wurden aus Deutschland insgesamt 314.000 Personen abgeschoben.
Es gibt kaum eine Möglichkeit, abgelehnte Asylbewerber wieder in ihr Heimatland bzw. in das Land zu überstellen, in dem sie zum ersten Mal die EU betreten haben. Einmal in Deutschland angelangt, bedeutet das in der Regel, dass man sich hier auf Dauer aufhalten kann. Das Asylverfahren stellt daher den bevorzugten Weg der Migration vor allem von Menschen aus der Dritten Welt nach Deutschland dar.
Eine innereuropäische Völkerwanderung
Asylbewerber stellen aber nur einen Teil derer dar, die nach Deutschland kommen, um hier Arbeit zu finden. Es ist die von der Europäischen Union in Artikel 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) garantierte Personenfreizügigkeit innerhalb der EU, die den Aufenthalt und die Aufnahme von Arbeit hier legal ermöglicht. Von der Personenfreizügigkeit leitet sich die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), ab, wonach jeder Unionsbürger die Möglichkeit hat, ungeachtet seines Wohnortes in jedem anderen Mitgliedstaat, unter den gleichen Voraussetzungen eine Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben wie ein Angehöriger dieses Staates. Es ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die die Zuwanderung von Arbeitskräften vor allem aus den mittelost- und osteuropäischen Beitrittsländern aber auch aus Südeuropa ermöglicht.
Für 2016 wies die Statistik noch Zuzüge von insgesamt 1.865.122 Menschen auf. Zieht man davon die Rückwanderung ab, so verblieb ein Saldo an Nettozuwanderung von 482.275, was in etwa der Einwohnerzahl von Duisburg entspricht.
Für 2015 fiel die Nettozuwanderung mit 1.534 770 sogar noch höher aus. Aber in jenes Jahr fielen auch die vier Monate der vollkommen offenen Grenzen mit einem hohen Zustrom von Asylsuchenden.
Am 1. Mai 2004 traten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern der EU bei. 2007 folgten Bulgarien und Rumänien, 2013 Kroatien.
All diese Länder hätten eigentlich von Beginn an von den ihnen nach den EU-Verträgen zustehenden Rechten vollen Gebrauch machen können. Doch bei der Gewährung der Arbeitnehmerfreizügigkeit sah man sich gezwungen, Übergangsregelungen zu ermöglichen. Der Grund waren die großen Unterschiede in den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen zwischen den Beitrittsländern und den bisherigen Mitgliedsländern. So lagen und liegen vor allem die Löhne dort erheblich niedriger. Auch die sozialen Sicherungssysteme sind in diesen Ländern nach dem Ende des Sozialismus deutlich schlechter ausgestaltet als im Westen des Kontinents. So wurde etwa das Wohlstandsgefälle zwischen Deutschland und Polen 2004 als größer eingeschätzt als das zwischen den USA und Mexiko. Der Abstand zwischen Ost und West innerhalb der EU hat sich zwar in der Zwischenzeit verringert, er ist aber immer noch groß.
Nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat für 2016 waren die geschätzten mittleren Bruttostundenverdienste in Euro am höchsten in Dänemark (36,20 EUR), gefolgt von Luxemburg (31,70 EUR), Belgien (28,40 EUR), den Niederlanden und Irland mit jeweils 26,20 EUR, Finnland (25,90 EUR) Schweden (25,70 EUR), und Deutschland mit 25,60 EUR. Am niedrigsten waren sie in Bulgarien (3,70 EUR), Rumänien (4,40 EUR) sowie in Litauen (5,30 EUR), Lettland (6,00 EUR) und Ungarn (6,30 EUR). In Polen betrugen die geschätzten mittleren Bruttostundenverdienste 7,00 EUR und in der Tschechischen Republik 7,40 EUR.
Der gesetzliche Mindestlohn beträgt in Deutschland gegenwärtig 9,19 Euro. Es ist leicht erklärbar, dass angesichts dieser Abstände weiterhin ein großer Anreiz zur Migration aus den armen EU-Beitrittsländern besteht.
Es waren lediglich Deutschland und Österreich, die den vollen Spielraum der möglichen Übergangsregelungen von sieben Jahren bei der Aussetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausschöpften. Erst 2011 gewährten sie diese den Bürgern aus den 2004 beigetretenen Ländern, den Staatsangehörigen der 2007 beigetretenen Länder Bulgarien und Rumänien erst 2014. Gegenüber Kroatien verhielt sich Berlin großzügiger. Laut einer Mitteilung der Bundesregierung konnten bereits nach dem EU-Beitritt am 1. Juli 2013 kroatische Akademiker, Auszubildende und Saisonbeschäftigte ohne Arbeitsgenehmigung in Deutschland arbeiten.[4] Seit dem 1. Juli 2015 kann jeder kroatische Staatsangehörige ohne Einschränkung hier tätig werden. Von dieser Möglichkeit machten bereits viele Gebrauch: „Lag die Abwanderung aus Kroatien vor einigen Jahren noch bei rund 10 000, sind es inzwischen jährlich 30 000 und mehr. Fast eine halbe Million Kroaten leben bereits allein in Deutschland.“ [5]
Der Anteil der in Deutschland lebenden Staatsangehörigen anderer EU-Länder wächst konstant. Nach den türkischen Staatsbürgern, als die mit Abstand größte Ausländergruppe mit 1.483 515, lag 2017 Polen mit 866 855 bereits an zweiter Stelle. Es folgten Syrien mit 698 000 vor Italien mit 643 000, Rumänien (622 770), Griechenland (348 475), Kroatien (332 605), und Bulgarien (263 320). Danach kommen Afghanistan, Russland und der Irak.
Nach einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 30.06.2017 stammten von den am 31.12.2016 in Deutschland lebenden ausländischen Staatsbürgern 4.279 770 aus EU-Mitgliedstaaten, 5.759 310 kamen aus Ländern außerhalb der EU.
Arbeitsmigration als Ursache des Brexits
Die Regierungen Großbritanniens, Irlands und Schwedens folgten 2004 dem neoliberalen Postulat der vollständigen Personenfreizügigkeit und gewährten sie allen Bürgern der Beitrittsländer von Beginn an. Auch Bulgaren und Rumänen gab man dieses Recht. Die sich daraus ergebenden Belastungen sollten sich aber vor allem für Großbritannien als erheblich erweisen. Sie wurden ein wichtiger Beweggrund für viele, beim Referendum über den Austritt des Landes aus der EU im Juni 2016 für den Brexit zu stimmen.[7]
In Deutschland leben heute so viele Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit wie nie zuvor
Einen vergleichbaren Ansturm wie Großbritannien erlebt gegenwärtig auch Deutschland. Nach dem Auslaufen der Übergangsregelungen 2011 und 2014 kam es, vor allem aus Polen, Rumänien und Bulgarien, innerhalb kurzer Zeit zu einem starken Zustrom.
Und so registrierte zum Jahresende 2016 das Statistische Bundesamt gut 10 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik: „Das ist die höchste jemals in Deutschland registrierte Zahl seit der Errichtung des Ausländerzentralregisters im Jahr 1967. Seit 2014, das heißt in den Jahren 2015 und 2016, hat die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer um 1,886 Millionen zugenommen (+23,1%).“ Darüber hinaus wurden seit 2015 in Folge ihrer Einbürgerung 229.800 Personen aus dem Register gestrichen.
Jeder vierte Bundesbürger hat gegenwärtig einen Migrationshintergrund, d.h. wenn sie selbst oder ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.
Die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland insgesamt lebende Bevölkerung stieg deutlich an. Im Jahr 2016 nahm gemäß dem Statistischen Bundesamt „die Gesamtbevölkerung Deutschlands im Vergleich zum Vorjahr um 346. 000 Personen (+ 0,4 %) zu und lag am Jahresende bei 82,5 Millionen. 2015 hatte es einen deutlich höheren Anstieg um 978. 000 Personen (+ 1,2 %) gegeben.“
In der Diskussion um eine Obergrenze für eine verkraftbare Zuwanderung wurde die Zahl von 200.000 angegeben. Die tatsächliche Zahl der Zuzüge liegt gut doppelt so hoch.
Der Gesamtbevölkerungsstand betrug Ende 2018 83,1 Millionen. Damit leben heute auf dem Territorium des Landes so viele Menschen wie nie zuvor. Der von der herrschenden Politik und den Unternehmerverbänden immer wieder vorausgesagte und befürchtete Rückgang der Bevölkerung und damit auch an Arbeitskräften und an Konsumenten fand nicht statt. Im Gegenteil: Der Sterbeüberschuss in der deutschen Bevölkerung wird seit Jahren durch Zuwanderung mehr als ausgeglichen.
Der unstillbare Hunger nach Arbeitskraft
Gesucht werden willige Hände, denn der Arbeitsmarkt einer kapitalistischen Industriegesellschaft wie die Bundesrepublik hat auch einen unstillbaren Bedarf an weniger Qualifizierten. Es geht um billige Arbeitskraft, um "cheap labour". Sie wird überall gesucht: für die Gebäudereinigung, bei Paketdiensten, für Hausarbeiten aller Art, für die Pflege kranker und alter Menschen, für Bedienung und Küche in Restaurants, im Verkauf, für Gartenarbeiten, in der Landwirtschaft, für den Bau, im Transport als LKW-und Busfahrer usw. Leihfirmen können schon heute ohne Migranten nicht mehr existieren.
Billige Arbeitskraft wird aber nicht nur in kapitalistischen Unternehmen geschätzt, auch die die kosmopolitische Mittelklasse verlangt ihren ungehinderten Zufluss. Als in den achtziger Jahren in den USA versucht wurde, den Zustrom der über das Meer kommenden Haitianer einzuschränken, gab es einen Aufschrei unter der gut situierten Mittelschicht in den Städten der Ostküste: Wer sollte schließlich künftig an ihrer Stelle für wenige Dollar die nahen Angehörigen pflegen? Was die Haitianer für die USA sind, sind die Osteuropäer für Deutschland. Aus der Pflege der auch hier immer betagter werdenden Alten sind die Polinnen, Rumäninnen und Bulgarinnen nicht mehr wegzudenken.
Ein Zuzug derart vieler Arbeitskräfte nach Deutschland ist nur möglich, weil der Arbeitsmarkt hier eine enorme Anziehungskraft, einen sogenannten Pulleffekt, aufweist. Darin gleicht die Bundesrepublik anderen hochentwickelten europäischen Ländern wie Frankreich und Großbritannien und Staaten wie den USA, Kanada oder Australien. Selbst Japan, das bislang auf ausländische Arbeitskräfte verzichtete, importiert jetzt billige Arbeitskraft.[9]
Es sind die Gesetze des Kapitalismus, die die Migration hervorbringen und ihren Verlauf bestimmen. Antreiber ist der unstillbare Hunger des Kapitals nach Arbeitskraft und zwar jeder Art, ob einfache oder qualifizierte. Er ist es, der immer mehr Menschen anzieht, sie zur Migration ermuntert und dabei entwurzelt. Es war denn auch der FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler, der im Mai 2013 als erster eine Willkommenskultur für ausländische Fachkräfte forderte.
Als dann die herbeigerufenen Arbeitskräfte in Massen kamen, zeigten sich die Spitzenvertreter des deutschen Kapitals davon angetan. In seinem Buch Die Getriebenen hat der Journalist Robin Alexander einige Stimmen aus dem Unternehmerlager vom Herbst 2015 eingefangen:
„῾Wir haben Chancen, wir gewinnen neue, teilweise qualifizierte Mitarbeiter dazu. Wir haben ein demographisches Problem in der Zukunft. Das heißt, wir haben einen Mangel an Arbeitskräften. Dieser Mangel kann reduziert werden῾, sagt der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo.
Daimler-Chef Dieter Zetsche wird eine Woche nach der Grenzöffnung sogar prophezeien: ῾Im besten Fall kann es auch eine Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder werden.῾ Natürlich sei ῾nicht jeder, der heute nach Europa kommt, ein brillanter Ingenieur, Mechaniker und Unternehmer, aber viele sind top ausgebildet῾.
Wer sein komplettes Leben zurücklasse, sei hoch motiviert: ῾Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land.῾ Fast programmatisch bringt der Top-Manager den deutschen Konsens jener Tage auf den Punkt: ῾Wer die Vergangenheit kennt, darf Flüchtlinge nicht abweisen. Wer die Gegenwart sieht, kann sie nicht abweisen. Und wer an die Zukunft denkt, der wird sie nicht abweisen.῾“[10]
Der „Kampf um die klügsten und innovativsten Köpfe“
Es ist der Kampf um den von Zetsche so begehrten „brillanten Ingenieur, Mechaniker und Unternehmer“, der zwischen den imperialistischen Staaten tobt. Und in diesem Kampf sieht sich das deutsche Kapital scharfer Konkurrenz ausgesetzt. Sie kommt vor allem aus den angelsächsischen Ländern, aus den USA, Großbritannien, Irland, Kanada, Australien und Neuseeland. Der entscheidende Vorteil dieser Länder: Man spricht dort Englisch, jene Weltsprache, die in der Regel auch die gut ausgebildeten Fachkräfte der Dritten Welt beherrschen.
Und so „stammen in angelsächsischen Industrieländern bis zur Hälfte der Ärzte und bis zu einem Drittel des Gesundheitspersonals aus dem Ausland, oft aus Afrika. Mehr als ein Drittel zum Beispiel der in Südafrika ausgebildeten Ärzte arbeitet in reichen OECD-Ländern.“[11] Allein in London sollen mehr Ärzte aus Malawi arbeiten als in dem Land selbst.
Bei diesem Kampf um die Köpfe sieht sich das deutsche Kapital daher im Nachteil. Wer spricht schon Deutsch? Und so fürchtet man hier um Wachstumspotentiale, die den Unternehmen entgehen könnten. Um aufzuholen fordert die deutsche Industrie schon seit langem ein Einwanderungsgesetz. Mit ihm soll der Zuzug hochqualifizierter Arbeitskräfte institutionalisiert werden.
Auch die deutschen Parteien sprachen sich für ein solches Einwanderungsgesetz aus. Im SPD-Bundestagswahlprogramm 2017 hieß es: „Die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte richtet sich nach den Interessen unseres Landes. Der Fachkräftemangel gefährdet unsere Wirtschaftskraft, unsere sozialen Sicherungssysteme und damit letztendlich auch unseren Wohlstand. Wir wollen deshalb ein Einwanderungsgesetz schaffen, mit dem wir den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland besser steuern können. Es ist wichtig, im weltweiten Wettbewerb um die klügsten und innovativsten Köpfe an der Spitze zu stehen.“ So sehen es auch Bündnis 90/Die Grünen: „Fachkräfte, deren Ideen und Motivation unser Land dringend braucht, sollten einfacher als bisher einen Arbeitsplatz in Deutschland suchen können.“ Und die CDU/CSU forderten in ihrem Regierungsprogramm für die Zeit 2017 bis 2021 ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz: „Mit einer klug gesteuerten und begrenzten Einwanderungspolitik für Fachkräfte unterstützen wir die Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland und verringern spürbar die Attraktivität von illegaler Einwanderung und Migration.“
Die Partei DIE LINKE wollte da nicht zurückstehen. Im Frühjahr 2018 präsentierte eine „Projektgruppe Einwanderung“ im Auftrag der Linksfraktionen der Landtage Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Konzeption einer linken Flüchtlings- und Einwanderungsgesetzgebung.[12]
Entsprechend der im Erfurter Grundsatzprogramm der Partei DIE LINKE festgeschriebenen Forderung nach „offenen Grenzen für alle Menschen“ wird in der Konzeption das Recht zur Einreise aller verlangt, um anschließend hier auf die Suche nach Arbeit gehen zu können:
„Von der Ausnahme des erlaubten Aufenthalts im heutigen System wird sich gelöst und ein Einwanderungsrecht vorgeschlagen, welches jeder Person die Möglichkeit der legalen Einreise, des dauerhaft legalen Aufenthalts und der sozialen wie politischen Inklusion verschafft.“ Als legaler Einreisegrund soll bereits das Bestehen eines „sozialen Anknüpfungspunktes“ in der Bundesrepublik genügen. Der liegt bereits dann vor, wenn nach Einreise „eine Erwerbstätigkeit aufgenommen werden soll“ oder „eine Gemeinwohltätigkeit aufgenommen wird (Tätigkeit in einem gemeinnützigen Verein, in der freiwilligen Feuerwehr/THW, in einer sonstigen karitativ tätigen Organisation, staatliche Beratungstätigkeit usw…)“ bzw. „sonstige Gründe für eine soziale Verwurzelung im Bundesgebiet sprechen“. Damit wäre die heute „nur“ für die EU geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit auf alle Staaten der Welt und damit auf die gesamte Menschheit ausgeweitet. Eine Position, die nicht einmal ultraliberalste Anhänger eines völlig freien Konkurrenzkampfes Jeder gegen Jeden vertreten.
Braindrain - Die Folge der Abwerbung von hochqualifizierten Arbeitskräften
Zwar kann die Bundesrepublik im weltweiten „Wettlauf um die klügsten und innovativsten Köpfe“ noch nicht mit den angelsächsischen Ländern mithalten, doch auf einige Erfolge kann sie dennoch schon verweisen.
So stieg der Anteil der ausländischen Ärzte zwischen 2000 und 2017 von 3,9 % auf 12,5 Prozent. Laut der Statistik der Bundesärztekammer waren Ende 2017 50 809 der insgesamt 506 013 in Deutschland arbeitenden Ärzte im Ausland ausgebildet worden. Die große Mehrzahl von ihnen, nämlich 33 956, kommt aus anderen europäischen Ländern, darunter 24 765 aus Staaten der EU. An der Spitze der Herkunftsländer stehen Rumänien mit 4 505 und Griechenland mit 3 147.
Aus Afrika stammen 3 430 Ärzte, davon allein 874 aus Libyen. 11 519 der hier tätigen Ärzte erhielten ihre Ausbildung in Asien, darunter nicht weniger als 3.632 in Syrien. Was die Entwicklung im Jahr 2017 angeht, so heißt es in der Statistik: „Der größte Zustrom konnte aus Syrien (+ 737) verbucht werden, es folgen Rumänien (+ 220), Serbien (+ 177), Ägypten (+ 177), die Ukraine (+ 149) und Russland (+ 134).“ Bereits am 12. April 2016 hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung gemeldet: „500 syrische Ärzte nach Deutschland geflohen“. Auch dies ein Ergebnis der offenen deutschen Grenzen zwischen Herbst 2015 und Frühjahr 2016.
Welche Folgen hat nun diese Abwanderung für die Herkunftsländer? In Osteuropa herrscht inzwischen ein derart eklatanter Ärztemangel, dass etwa Tschechien und die Slowakische Republik ukrainische bzw. russische Ärzte anwerben müssen. Akuter Mangel herrscht auch in Bulgarien und Rumänien. Dort ist die Anzahl praktizierender Ärzte inzwischen so gering, dass Krankenhäuser schließen mussten. Griechenland haben allein in den letzten acht Jahren über 20.000 Ärzte verlassen.
Die griechische Regierung schätzt, dass inzwischen fast jeder zweite in Griechenland ausgebildete Arzt nicht mehr in Griechenland, sondern in Länder wie den USA, Großbritannien, der Schweiz, Schweden, Deutschland und anderen praktiziert. Ganze Regionen des Landes sind faktisch eine ärztelose Zone geworden. Noch viel katastrophaler sind die Folgen der Abwanderung für Afrika. Und da ist Syrien, das in den letzten Jahren den Großteil seiner Ärzte verloren hat. Das Land wurde dadurch im wahrsten Sinne des Wortes ausgeblutet!
Die Auswanderung der in ihren Heimatländern so bitter benötigten Ärzte ist aber nur ein Teil des sich immer schneller vollziehenden „Braindrains“ (Flucht der Intelligenz) aus weniger entwickelte in höher entwickelte Länder. Er vollzieht sich im gleichen Maße unter Wissenschaftlern, Lehrern und Hochschullehrern wie unter den nach Zetsche so „brillanten Ingenieuren, Mechanikern und Unternehmern“.
Sozialdumping – Die Folge der Einwanderung gering qualifizierter Arbeitskräfte
Die FAZ meldete am 20.07.2019: „Überproportional häufig finden ehemalige Asylbewerber (…) ihren Einstieg mit Hilfe von Zeitarbeit oder im Gastgewerbe. Auch deshalb ist die Entlohnung eher gering, wie die Statistik außerdem nahelegt. (…) Allein 16 Prozent der Beschäftigten aus den Asylherkunftsländern hatten Ende 2018 ihr Arbeitsverhältnis im Wirtschaftszweig „Arbeitnehmerüberlassung“. Unter den Beschäftigten deutscher Herkunft waren es dagegen nur 1,6 Prozent. Und während die Zahl der Zeitarbeiter mit deutschem Pass im Vorjahresvergleich um 17 Prozent auf insgesamt 478.000 schrumpfte, erhöhte sich die Zahl der Zeitarbeiter aus den Asylherkunftsländern um 57 Prozent auf 48.000. Überproportional hoch ist der Anteil ehemaliger Asylbewerber aber auch im Gastgewerbe: Während dort 13 Prozent aller Beschäftigten aus den Asylherkunftsländern ihre Arbeit haben, sind es unter den deutschen Beschäftigten nur 2,4 Prozent. Beides liefert wohl auch eine wichtige Erklärung dafür, dass die Löhne, die ehemalige Asylbewerber erzielen, bisher erheblich unter dem Mittelwert für alle Beschäftigten liegen.“
Die Ausbreitung von Minilöhnen, von geringfügiger Beschäftigung, von Schwarzarbeit sowie unbezahlter Überstunden trifft auf ein riesiges Angebot an willfähriger ausländischer Arbeitskraft. Selbst die Ein-Euro-Jobs sind wieder zurück.
So meldete die FAZ am 25.08.2016: „Die von der Bundesregierung beschlossenen 100.000 Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge sollten nach Ansicht von Bundesagentur-Chef Frank-Jürgen Weise nicht nur als Überbrückung dienen. Vielmehr sollten sie auch als Instrument zur beruflichen Förderung von Migranten genutzt werden.“
Da passte es gut, dass Weise nach seiner Ernennung zum Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im September 2015, also fast zeitgleich mit der Öffnung der deutschen Grenzen, dieses Amt in Personalunion mit der Bundesagentur für Arbeit ausübte.
Die Arbeitsmigranten sind leichte Opfer der wieder in Mode kommenden Formen extremer Ausbeutung, unterliegen sie doch einem doppelten Druck: als Hartz IV-Empfänger und als Abhängige von einem oft begrenzten und unsicheren Aufenthaltsstatus, kontrolliert durch die Ausländerbehörden. Im Ergebnis entstehen so frühkapitalistische Lohnarbeitsverhältnisse, breiten sich Abhängigkeitsverhältnisse aus, wie sie bisher nur aus der Dritten Welt bekannt sind.
Und die Billigkonkurrenz von außen verschlechtert natürlich auch die Bedingungen für die ansässige Bevölkerung, zu der vor allem die schlecht ausgebildeten Angehörigen der zweiten und dritten Generationen früherer Migrantengruppen gehören.
Eine deutlich schwächere Rechtsstellung als einheimische Arbeitskräfte haben auch die im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus anderen EU-Ländern ins Land Geholten. Ihnen stehen in der Regel staatliche Förderungen für Umschulungen- und Weiterbildungen nicht zu. Vor allem aber ist ihr Aufenthaltsstatus abhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Fällt es weg, so werden sie nicht nur arbeitslos, sie verlieren auch das Recht, im Land bleiben zu dürfen. So mussten in der Finanzkrise viele osteuropäische Arbeiter und Angestellte Großbritannien und Irland verlassen.
Das Versagen der Linken
Die Partei DIE LINKE hat sich 2011 in ihrem Grundsatzprogramm festgelegt: „Offene Grenzen für alle Menschen.“ In ihrem Bundestagswahlprogramm 2017 hieß es darüber hinaus: „Wir unterstützen die Forderungen nach einem sofortigen Stopp der Abschiebungen und nach einem Bleiberecht für alle.“ Der Leipziger Bundesparteitag hat im Juni 2018 diese Position im Prinzip bestätigt. Im Beschluss DIE LINKE – Partei in Bewegung werden erneut „offene Grenzen“ gefordert. Und es heißt: „Abschiebungen lehnen wir ab“. Die Verwirklichung dieser Forderungen hätte aber zur Folge, dass das gesamte Asylrechtssystem mit der dazu gehörenden Bürokratie von Tausenden von Beschäftigten in Verwaltung und Justiz überflüssig werden würde, würde doch jeder, der einmal die „offenen“ Grenzen überschritten hat, bleiben können. Selbst bei Ablehnung seines Asylgesuchs hätte er nichts zu befürchten, wenn es Abschiebungen, wie von der Linkspartei ausdrücklich gewünscht, nicht mehr geben soll. Diese Haltung widerspricht allerdings der eigenen Regierungspraxis, denn auch in den Bundesländern, in denen die Linkspartei an der Regierung beteiligt ist, werden abgelehnte Asylbewerber abgeschoben. In Berlin waren es 2017 insgesamt 1.645, in Brandenburg 490 und in Thüringen, dort wo die DIE LINKE sogar den Ministerpräsidenten stellt, 657.
Indem der massenhafte Missbrauch des Asylrechts zum Zweck der Arbeitsmigration von ihr ignoriert ja sogar begrüßt wird, leistet die Linkspartei all denen einen Bärendienst, die das Recht auf Asyl zu verteidigen versuchen, indem sie es auf die tatsächlich von politischer und rassischer Verfolgung Betroffenen begrenzen. Damit befördert die Partei die rechte Agitation, die die unter dem Vorwand des Asyls erfolgende Arbeitsmigration zum Anlass nimmt, um die Abschaffung des Asylrechts zu fordern.
DIE LINKE schweigt auch zu den fatalen sozialen und demografischen Folgen der in der EU geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit, sowohl für die Herkunfts- als auch für die Aufnahmeländer. Sie teilt sogar die neoliberale Sicht auf ihre angeblich positiven Effekte. In einem Interview des Deutschlandfunks erklärte die Parteivorsitzende Katja Kipping im Juni 2018: „Wir sollten jetzt nicht so tun, als ob Arbeitsmigration für uns nur eine Bedrohung ist. Ich würde es mal anders herum sagen: Wenn alle Arbeitsmigranten, die es bereits hier gibt, dieses Land verlassen würden, dann hätten wir ein richtiges Problem. Wir haben gerade Spargel-Saison. Ich wüsste gar nicht, wie der Spargel bei uns auf den Tisch kommen soll, wenn es da nicht Menschen aus anderen Ländern gäbe. Oder wenn wir in den Pflegebereich gehen: Wenn da alle Menschen ohne deutschen Pass jetzt das Land verlassen würden, dann hätten wir hier ein richtiges Problem.“ Juliane Nagel, Mitglied des sächsischen Landtags und Stadträtin in Leipzig für die Linkspartei sowie enge Mitstreiterin von Katja Kipping, sieht es so: „Der richtige Weg ist zu sagen: jeder Mensch, der hier in Deutschland leben will, muss auch den Platz haben. (…) In Deutschland ist genug Platz, wir brauchen Migrantinnen und Migranten, nicht nur für das Klima des Zusammenlebens in diesem Land, sondern auch für Erneuerungen und als Arbeitskräfte. Es ist eine breite Palette an Vorteilen, und wir können dadurch nur gewinnen.“[13]
Vorsichtige Versuche der Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Sahra Wagenknecht, in die Diskussion kritische Positionen einzubringen, führten sogleich zum Vorwurf, damit nur der AfD entgegenzukommen zu wollen. So erklärte Bernd Riexinger zur Position von Sahra Wagenknecht: „(…)wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass wir die AfD dadurch bekämpfen, indem wir unsere Positionen zur Flüchtlingspolitik ändern.“[14]
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Verabschiedet am 7. Juni 2019 im Bundestag zusammen mit weiteren ausländerrechtlichen Neuregelungen – etwa das „Geordnete Rückkehrgesetz“. Tritt am 1. März 2020 in Kraft.
Druck der Wirtschaft – vor allem aus Klein- und Mittelbetrieben – aus dem Gastgewerbe, Unternehmen der Sicherheitsbranche, Zeitarbeitsfirmen, Leiharbeitsbranche, Anbietern von Pflege- und Gesundheitsleistungen
Kritik der Gewerkschaften. Aus einer Studie des WSI: „Bei der mit falschen Zahlen geführten Kampagne handele es sich um einen ῾Reflex῾ des Bestrebens der Unternehmer durch ῾Einwanderung die Entwicklung der Arbeitskosten im deutschen Niedriglohnsektor zu dämpfen῾. (…) Die eigentliche Ursache für den Bewerberschwund in vielen Betrieben sei mit mithin ῾kein Mangel an Fachkräften, sondern an Zahlungsbereitschaft῾“ (junge Welt, 31.08.018)
Wer darf kommen?
- Wer eine inländische qualifizierte Berufsausbildung oder eine mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung gleichwertige ausländische Berufsqualifikation besitzt oder
- einen deutschen, einen anerkannten ausländischen oder einen einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss hat.
Die Vorrangprüfung wird aufgehoben. Damit muss nicht mehr vor jeder Einstellung einer Fachkraft aus einem Drittstaat festgestellt werden, ob ein inländischer oder europäischer Bewerber zur Verfügung steht.
Ein Visum bekommt nur der, der nachweisen kann, dass er seinen Lebensunterhalt und den seiner mitreisenden Familienangehörigen selbst sichern kann.
Der Berechtigte kann sich in Deutschland bis zu einem halben Jahr aufhalten, um sich eine Arbeitsstelle zu suchen.
Er erhält zunächst den Status eines Geduldeten („Beschäftigungsduldung“). Nach 30 Monaten und bei Vorliegen der Voraussetzungen kann diese neue Beschäftigungsduldung in eine Aufenthaltserlaubnis führen.
Steuerung der Migration dadurch nicht möglich - Einwanderung über Nutzung des Asylrecht und der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit werden weit wichtiger bleiben.
Kein Punktesystem wie in Kanada – Argument dagegen: Zuviel Bürokratie, zu schwerfällig.
Keine Quote für Flüchtlinge wie Großbritannien und Kanada (Quote in Kanada von 46.000 jährlich)
Elemente einer sozialistischen Asyl- und Migrationspolitik
Die internationale Arbeiterbewegung war von Beginn an mit der Arbeitsmigration konfrontiert. Auf dem Internationalen Sozialistenkongress 1907 in Stuttgart wurde dazu die Resolution „Ein- und Auswanderung der Arbeiter“ beschlossen, die auch heute noch aktuell ist. In ihrem aktionsorientierten Teil macht sie Vorschläge für die Besserung der Situation, sowohl in den Einwanderer- als auch in den Auswandererländern. Gefordert wird etwa, sich nicht durch ethnische oder religiöse Trennungslinien spalten zu lassen. Von den Gewerkschaften in den Einwandererländern wird gefordert, die Migranten zu organisieren, um so zu verhindern, dass sie die ihnen zugedachte Funktion von Streikbrechern erfüllen. Von besonderer Bedeutung ist aber die generelle Sicht der Resolution auf die Migration: „Die Ein- und Auswanderung der Arbeiter sind vom Wesen des Kapitalismus ebenso unzertrennliche Erscheinungen wie Arbeitslosigkeit, Überproduktion und Unterkonsum der Arbeiter. Sie sind oft ein Mittel, den Anteil der Arbeiter an der Arbeitsproduktion herabzusetzen, und nehmen zeitweise durch politische, religiöse und nationale Verfolgungen anormale Dimensionen an.“[15] Migration ist demnach eine der Geißeln des Kapitalismus. Sie ist dem Wesen des Kapitalismus eigen und kann innerhalb seiner Schranken immer nur mehr oder weniger erfolgreich zurückgedrängt werden. Es gibt daher auch heute keinen Anlass, Migration zu begrüßen oder romantisch zu verklären, etwa als Gewinn an „Buntheit“ oder „Multikulti“!
Auswanderung kann nicht die Antwort auf den Bevölkerungsdruck der Dritten Welt sein
Eine forcierte Migration aus dem Süden in den Norden lässt sich schon gar nicht mit der Auswanderung aus europäischen Staaten in den vergangenen Jahrhunderten rechtfertigen, denn davon betroffen waren kolonisierte bzw. von imperialistischen Staaten beherrschte Räume. Die einheimische Bevölkerung dort wurde mit brutaler Gewalt unterdrückt, dezimiert und in einigen Regionen sogar ausgerottet. Auf diese Weise schaffte man erst Platz für die Siedler. Ein Drama, das sich niemals wiederholen darf!
Auf die drängenden Fragen der Überbevölkerung hat vielmehr das revolutionäre China bereits Anfang der 50er-Jahre eine bis heute gültige Antwort gegeben. Das Land erklärte seinerzeit den Verzicht darauf, zur Lösung des Problems, wie bis dahin üblich, auf die Förderung der Auswanderung zu setzen. Stattdessen bekannte es sich dazu, die eigenen Ressourcen zu entwickeln und zugleich eine strikte Politik der Geburtenkontrolle durchzusetzen.
Aktivierung des ungenutzten Arbeitskräftepotentials
Aus einer Mitteilung des Statistischen Bundesamtes: „Im Jahr 2017 wünschten sich in Deutschland knapp 5,1 Millionen Menschen im Alter von 15 bis 74 Jahren eine Arbeitsstelle oder mehr Arbeitsstunden. Neben insgesamt 2,4 Millionen Unterbeschäftigten setzte sich das ungenutzte Arbeitskräftepotential aus 1,6 Millionen Erwerbslosen und 1 Million in stiller Reserve zusammen. Das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial machte 2017 in Deutschland insgesamt 11 Prozent aller Erwerbspersonen und Personen in Stiller Reserve aus.“
Steuerung der Einwanderung – Orientierung an Integrationsfähigkeit
Höchstgrenze von etwa 200.000 pro Jahr – gegenwärtig etwa 400.000
Quote für echte Flüchtlinge – wie Kanada (46.000 bei 30 Millionen Einwohnern) – mindestens 100.000 – Auswahl vor Ort (wie Großbritannien in Flüchtlingslagern) – dann aber auch Schließung der selbst gewählten Fluchtwege – gibt es darüber politischen Konsens?
Verhinderung von Brain-Drain
Die Migrationsströme in den Norden bedeuten einen realen Verlust für die Länder des Südens. Die Auswanderer sind in ihrer Heimat nicht nur ökonomisch sondern auch politisch wichtig. Diejenigen, die von dort auswandern, gehören meist nicht zu den Ärmsten. Sie kommen vielmehr aus der Mittelschicht und benötigen ein Minimum an finanzieller Ausstattung, um überhaupt auf die Reise gehen zu können. Ein Migrant aus dem Afrika südlich der Sahelzone muss dafür etwa 2.000 Euro aufbringen. In vielen afrikanischen Ländern entspricht diese Summe einem Jahreseinkommen. Es sind zudem diejenigen, die politisch in Afrika etwas verändern könnten, die den Weg ins Exil wählen.
Die Abwerbung qualifizierter Arbeitskräfte stellt in einigen Fällen eine Form des Klassenkampfes dar, der von imperialistischen Staaten geführt wird, um aufstrebende und unbotmäßige Länder schwach und in Abhängigkeit zu halten.
Bereits im Kampf gegen die europäischen sozialistischen Länder setzte man auf dieses Mittel. So wurde die Bevölkerung der DDR mit dem Versprechen auf höhere Löhne und eines reichhaltigeren Konsumangebots gelockt. Heute umwirbt man die Ärzte, Wissenschaftler und Ingenieure Kubas, Venezuelas, Syriens, Russlands, Chinas und des Iran. Sozialisten müssen sich gegen diese Politik wenden, so wie sie sich gegen die Sanktionen gegen diese Länder aussprechen.
Die in der EU herrschende Personenfreizügigkeit ist einzuschränken, um die von ihr abgeleitete Arbeitnehmerfreizügigkeit aufheben zu können. Nur auf diese Weise kann der Aufholprozess der mittel-und osteuropäischen Länder in der Union gewährleistet werden, der durch den permanenten Abfluss qualifizierter Arbeitskräfte nach Westen bereits jetzt immer langsamer wird.
Alle diese Staaten verzeichnen bereits einen signifikanten Rückgang an Bevölkerung. Zugleich werden die Arbeitsmarktordnungen und die Sozialsysteme in den Aufnahmeländern durch die unregulierte Konkurrenz billiger und willfähriger Arbeitskraft aus diesen Ländern immer stärker unterminiert. Die Personenfreizügigkeit gehört, neben der Kapital-, Waren-und Dienstleitungsfreiheit, zu den vier Grundfreiheiten der EU, und ist damit zentraler Bestandteil der neoliberalen Wirtschaftsordnung der Europäischen Union, die auf die Auflösung des Sozialstaatsmodells zielt, wie es in Europa nach 1945 entstanden ist. Sozialisten sind Gegner dieser neoliberalen Grundfreiheiten und damit der EU, die darauf beruht.
Unterstützung dürfen daher nicht diejenigen erhalten, die ihre Länder verlassen, um woanders für sich ein besseres Leben zu suchen. Die Solidarität gebührt vielmehr jenen, die unter widrigen Umständen in ihrem Land bleiben, um so zu seiner Entwicklung beizutragen.
Eine sozialistische Politik muss die entwickelten Staaten darauf verpflichten wollen, durch den Einsatz all ihrer Fähigkeiten und ihres Reichtums eine humane Lösung des Problems der Unterentwicklung und des Bevölkerungsdrucks zu ermöglichen.
Dafür sind großzügig Mittel für den Ausbau der Infrastruktur des Südens zur Verfügung zu stellen.[16] Sozialisten müssen sich vor allem aber dafür einsetzen, dass die natürlichen Ressourcen dieser Länder an Bodenschätzen, Agrarflächen sowie an Fischgründen dem Zugriff des multinationalen Kapitals entzogen werden. Die Hoheit über ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik ist wieder herzustellen, und ihre Souveränitätsrechte und Grenzen sind in vollem Umfang zu respektieren. Die Länder des Nordens haben ihre Ausbildungsstätten für die Qualifikation von Wissenschaftlern, Ärzten, Ingenieuren, Mechanikern und anderen Fachkräften zu öffnen. Vorbild ist hier die solidarische Hilfe, die die DDR und andere sozialistische Staaten diesen Ländern einst geleistet haben.
[1] Der Vortrag beruht auf dem Referat des Autors in der Veranstaltung „Offene Grenzen für alle? Wie kann eine realistische Flüchtlingspolitik aussehen?“ am 8. Mai 2018 im Marx-Engels-Zentrum Berlin.
[2] Unter „subsidiären Schutz“ stehen Personen, die zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, denen aber ein ernsthafter Schaden drohen würde, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückkehren würden.
[3] In der Statistik wird auch Deutschland an vierter Stelle aufgeführt. Bei den hier genannten 145.047 Zuzügen dürfte es sich vor allem um Rückkehrer mit deutscher Staatsangehörigkeit handeln.
[4] Auch die deutschen Übergangsregelungen für die 2004 bzw. 2007 beigetretenen Länder umfassten branchenspezifische Ausnahmen, etwa für Saisonarbeiter. Sie konnten bereits vor Ablauf der Übergangsregelungen frei nach Deutschland kommen. Damit entsprach man Forderungen aus der deutschen Wirtschaft.
[5] Touristen kommen, Kroaten gehen, in: Le Monde diplomatique, Juni 2018, S.10
[6] Beitrittsverhandlungen führt Brüssel bereits mit Montenegro und Serbien, wobei auf dem EU-Gipfel am 17. Mai 2018 in Sofia ein Beitritt für 2025 in Aussicht gestellt wurde. Mit Albanien und Mazedonien sollen möglichst bald Verhandlungen aufgenommen werden. Nur Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo wurden noch keine Gespräche angeboten.
[7] Vgl. zu den Ursachen der Brexit-Entscheidung Andreas Wehr, Europa, was nun? Trump, Brexit, Migration und Eurokrise, PapyRossa Verlag Köln 2018, S. 50 ff.
[8] Paul Mason, Es ging nicht um Europa, in : Le Monde diplomatique vom 16. 7. 2016
[9] „Bis zum Jahr 2025 sollen (…) 500.000 Ausländer in Japan mit seiner schrumpfenden Bevölkerung arbeiten können. Die neuen Visa soll es in den fünf Wirtschaftsbereichen Bau, Landwirtschaft, Pflege, Hotel und Schiffsbau geben, in denen Unternehmen und Anbieter händeringend nach Arbeitskräften suchen. Arbeitsvisa gibt es bislang nur für hochqualifizierte Fachkräfte.“ In: FAZ, Japan öffnet sich für Gastarbeiter, vom 16.06.2018
[10] Robin Alexander, Die Getriebenen, Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Inneren der Macht, München, 2018, S. 74
[11] Jörg Goldberg, Ein neoliberales Projekt, in: Neues Deutschland vom 29.04.2016
[12] Einer der Autoren der Konzeption ist der auf dem Leipziger Bundesparteitag der Linkspartei zum Bundesgeschäftsführer gewählte Jörg Schindler
[13] Stimmen auf dem Parteitag, in: Unsere Zeit (ZU) vom 15.06.2018
[14] Vgl. Tageszeitung (taz) vom 23.10.2017 )
[15] Arbeiterklasse und Einwanderung, aus der Resolution des Kongresses der Sozialistischen Internationale 1907 in Stuttgart, in: Junge Welt vom 19./20./21. 06.2018
[16] Die Projekte Chinas zum Bau bzw. Erneuerung der Infrastruktur Afrikas können hier als Vorbild dienen. Vgl. dazu Marianna Schauzu, Land-Grabbing: China als neuer Kolonialherr?
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