„Abschlusserklärung von G20 Ausdruck der Isolation der USA“
Interview von Andreas Wehr mit Sputnik Deutschland vom 3. Dezember 2018
Dass es beim G20-Gipfel in Buenos Aires zu einer Abschlusserklärung gekommen ist, bewertet EU-Experte Andreas Wehr als positiv. Auch das Gesprächsformat an sich sei sehr gut, da anders als bei G7 auch Schwellenländer vertreten seien. G20 brauche jedoch neue Dynamik – und die werde hauptsächlich durch die USA blockiert.
Keine eskalierenden Ausschreitungen wie in Hamburg, dafür eine Kanzlerin mit Flugzeugpanne und eine Anzeige gegen den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Die Bilder und Begleitumstände des diesjährigen G20-Gipfels in Buenos Aires sind so ganz anders als noch im letzten Jahr. Doch was konnte inhaltlich erreicht werden und was heißt das für die Zukunft der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer und der EU? Sputnik hat sich darüber mit dem EU-Experten, Buchautor und Juristen Andreas Wehr unterhalten.
Herr Wehr, am Wochenende fand in Buenos Aires der diesjährige G20-Gipfel statt. Nach den Erfahrungen von Hamburg kann man zunächst froh sein, dass es zwar Proteste gab, es aber insgesamt friedlich geblieben ist. Liegt es daran, dass es dieses Jahr inhaltlich weniger Kritik- und Streitpunkte gab, die die Menschen auf die Straßen getrieben hätten?
Ich glaube, das ist eine spezifisch deutsche Eigenschaft gewesen, die in der politischen Landschaft hier verwurzelt ist, dass es diese Proteste gab. Diese gewalttätigen Proteste hat man vorher bei G20-Gipfeln nicht gesehen und jetzt in Argentinien auch nicht. Ich glaube, das hat eher etwas mit der Befindlichkeit der deutschen Linken zu tun, die die G20 zum großen Gegner stilisiert hatte. Das sieht man in anderen Ländern anders. Es hat in Argentinien Demonstrationen gegeben, auch vorher schon. Aber man hat nicht das Format als solches infrage gestellt, sondern hat Forderungen gestellt, hat gegen einzelne Teilnehmer protestiert, aber bei weitem nicht in dem Umfang wie in Hamburg. Ich glaube, mit den Inhalten hat das nicht so viel zu tun.
Im Vorfeld gab es dennoch eine Person, die die Gemüter international bewegt hat: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, gegen den Human Rights Watch Anzeige wegen einer mutmaßlichen Verstrickung in den Mord am Journalisten Jamal Khashoggi sowie wegen Kriegsverbrechen in Jemen erstattet hatte. Ausdrückliche Kritik an bin Salman geschweige denn eine Festnahme sind nicht erfolgt. Wurde das Thema zu sehr aufgeblasen oder lag es schlicht nicht im Interesse der Gipfelteilnehmer, bin Salman anzugreifen?
Das ist natürlich eine schwierige Frage, denn die Teilnehmer können nur im Konsens entscheiden. Hätten sie den saudi-arabischen Prinzen dort isoliert, dann hätte man sicherlich bei der Formulierung der Abschlusserklärung und bei den Vereinbarungen, die man getroffen hat, große Probleme bekommen. So hat man darauf verzichtet, diese Frage in den Mittelpunkt zu stellen. Die Frage hätte sich auch bei Erdogan gestellt: Die Ausrufung des Ausnahmezustands vor zwei Jahren. Das hätte man auch problematisieren können, aber in der Regel macht man das nicht auf solchen Gipfeltreffen, die eben auf einstimmige Erklärungen angewiesen sind.
Dazu muss man sagen, dass Saudi-Arabien in dieser Gruppe der G20 dabei ist, war bei der Installierung der G20 als Finanzministerrunde 1999 und später auf der Ebene der Regierungschefs vor allem das Interesse der USA. Saudi-Arabien gehört eigentlich gar nicht da rein. Aber das ist nun mal so passiert, deswegen müssen sich die anderen gewissermaßen damit abfinden, dass ein solcher Potentat dabei ist.
Im Nachhinein wurde das von Wolfgang Ischinger, dem Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, bemängelt. Genauso wie die mangelnde Kritik an dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen der jüngsten Auseinandersetzungen mit der Ukraine. Laut Ischinger hat Putin keinen „ordentlich übergebraten bekommen“. Wie bewerten Sie das?
Es ist natürlich eine sehr unschöne Entwicklung, dass Deutsche wie Ischinger sich da wieder so gegen Russland festlegen. Das hat auf diesem Gipfel eigentlich gar nichts zu suchen. Es ist kein Konflikt zwischen zwei G20-Staaten, sondern zwischen Russland und der Ukraine – mit eigenen Besonderheiten und Hintergründen. Zu fordern, dass der G20-Gipfel eine Erklärung gegen Putin verfasst, oder seine Isolierung verlangt, bzw. sogar „eine übergebraten“ gehört– das ist eine gewisse Hybris der deutschen Politik, die in dieser Frage antirussisch ist.
Man muss dazu sagen, dass das Format der G20 das fortschrittlichere ist gegenüber den G7. Aus der Gruppe der G8 konnte man Russland nach der Entwicklung auf der Krim ausschließen. Das ist aber auf der G20-Ebene nicht geglückt. Das ist einer der Vorteile, die die G20 haben, dass die BRICS-Staaten und damit auch Russland und China dabei sind. Ich glaube, das passt Herrn Ischinger nicht.
Als problematisch wird von Beobachtern allen voran aber US-Präsident Donald Trump bewertet. Er sei launisch, habe nur eigene Interessen im Sinn. Das Treffen mit Wladimir Putin hat er kurzfristig abgesagt. Außerdem haben die USA bei zentralen Themen des Gipfels wie dem Kampf gegen Protektionismus, der Migration und vor allem dem Klimawandel gar nicht oder nur eingeschränkt mitgespielt. Für wie problematisch erachten Sie Trumps Kurs für die Arbeit und die Ziele von G20?
Das ist ja nicht erst seit gestern oder seit dem G20-Gipfel so, dass die USA in die multilaterale Politik nichts mehr investieren beziehungsweise der Politik des Aushandelns auf der internationalen Ebene keinen Wert mehr beimessen. Dass es überhaupt eine Schlusserklärung in Buenos Aires gegeben hat, ist womöglich schon ein Erfolg dieses Gipfeltreffens.
Es hat bei der Asien-Pazifik-Konferenz keine Schlusserklärung gegeben, weil Trump und die US-Administration sie nicht wollten. Bei den G7 hatte es eine Erklärung gegeben, aber sie wurde danach von Trump wieder einkassiert. Es ist also ein gewisser Fortschritt, dass es überhaupt eine Erklärung gegeben hat. Was die Klimaziele angeht, steht eindeutig drin, dass die G19, also alle außer den USA, daran festhalten und sie auch nicht mehr als revidierbar betrachten. Um dann überhaupt zu einer einstimmigen Schlusserklärung kommen zu können, hat man den USA einen Passus eingeräumt, wo sie ihre abweichende Position darstellen konnten.
Die USA hatten wohl vorher damit gerechnet oder darauf gehofft, dass Länder wie Saudi-Arabien oder die Türkei eine ähnliche Position einnehmen, aber sie sind da allein geblieben. Daher ist die Schlusserklärung auch Ausdruck der Isolation der USA, aber zugleich auch eines gewissen Zugeständnisses gegenüber der Administration in Washington indem man viele Formulierungen in der Erklärung so abgeschwächt hat, dass die USA ihnen zustimmen konnten. Letzteres ist schon ein Nachteil.
In mehreren Kommentaren war zu lesen, es sei ein Treffen von egoistischen Alphatieren gewesen, wo Bundeskanzlerin Merkel allein auf weiter Flur geblieben sei und sich nicht mehr auf einstige Mitstreiter verlassen könne. Eine internationale Kooperation sei nun schwieriger geworden. Was meinen Sie? Welche Rolle hat Merkel bei dem Gipfel denn gespielt?
Diese Kommentare geben das reale Bild nicht wieder. Die Deutschen, die Franzosen, die Briten und alle anderen EU-Staaten verfolgen wie alle dort ihre eigenen nationalen Interessen. Wer fortschrittliche Positionen einbringt, ist vor allem China und nicht unbedingt die Bundesrepublik Deutschland. Sie hat zwar in der Klimafrage eine positive Rolle gespielt, in anderen spielt sie aber keine positive Rolle. Da ist die Initiative eher bei China, aber auch bei Indien, ein bisschen auch bei Russland.
Man kann also sagen: Hier sind bestimmte positive Elemente, die in den G20-Prozess eingefügt worden sind, aber man kann es nicht auf die deutsche Position reduzieren. Oftmals gab es auch ein Zusammenspiel, zwischen China und Frankreich beispielsweise in der Klimafrage im Vorfeld des G20-Gipfels.
Eines der Themen, auf die alle besonders gespannt geblickt haben, war, wie China und die USA ihre Beziehungen wieder hinkriegen. Eine Entspannung scheint sich anzudeuten: Es soll vorerst keine neuen Strafzölle seitens der USA geben, auch China hat Zugeständnisse gemacht. Für wie stabil halten Sie das, was da vereinbart wurde?
Diese Absprache ist ja nach dem G20-Gipfel zustande gekommen. Das ist durchaus positiv und ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Schritt zur Entspannung der internationalen Situation, indem man sagt, man will 90 Tage weiter verhandeln. Man kann nur begrüßen, dass die Isolierung von China nicht weitergehen soll. Man muss aber auch sehen, dass es im Vorfeld der G20-Konferenz in Buenos Aires das Interesse der Europäer gab, die Frage der WTO-Reform in das Schlussprotokoll hinein zu bekommen. Und da spielt die negative Rolle der Bundesrepublik im Zusammenspiel mit den USA hinein. Das richtet sich vor allem gegen China.
Man will China dazu bringen, sogenanntes „geistiges Eigentum“ nicht zu „stehlen“. Man wollte auch Formeln hineinbringen, die Chinas Politik in Sachen Neue Seidenstraße, was Kredite an andere Länder angeht, Fesseln anlegen. Daran sieht man, dass die BRD in Person von Merkel hier keine positive Rolle spielt. Vielmehr hat sie die EU in Stellung gebracht gegen die Technologieentwicklung in China, und auch die USA machen da natürlich mit. Das ist aber nicht geglückt, insofern kann man sagen, dass das Negative auch nicht in die Abschlusserklärung hineinverhandelt worden ist.
Was bleibt unterm Strich von diesem G20-Gipfel und was heißt das für dieses Verhandlungsformat für die Zukunft?
Man muss überhaupt erstmal froh sein, dass es diesen G20-Prozess gibt. Er ist ja nicht reduzierbar auf diese Gipfel wie jetzt in Buenos Aires, sondern es gibt viele Arbeitsgruppen, Treffen der Fachminister. Dort wird eine ganze Reihe von Programmen vereinbart, Roadmaps, Absichtserklärungen. Mehr oder weniger konkrete Dinge, die durchaus sinnvoll sind. Man hat sich schon in Hamburg auf die Förderung von klimaresistenten Pflanzen geeinigt und gemeinsame Projekte dazu. Das kommt so nicht in die Öffentlichkeit, weil es nicht so interessant ist. Oder da sind beispielsweise die Projekte bei der Entwicklung von neuen Antibiotika gegen multiresistente Keime.
Es gibt also schon einen gewissen Fortschritt und man muss insgesamt sehen, dass es das einzige Format ist, wo die Schwellenländer und einige Entwicklungsländer dabei sind. Das hat man nicht bei der G7, wo die westlichen Staaten unter sich sind. Auch die UNO wird dominiert von dem UNO-Sicherheitsrat und dort von den ständigen Mitgliedern, die Veto-Recht haben. Dort ist beispielsweise Indien nicht dabei, da ist kein afrikanisches Land dabei, kein südamerikanisches. Das Format der G20 ist also durchaus positiv zu bewerten.
Es müsste aber neue Dynamik in den G20 Prozess hinein, aber gegenwärtig blockieren das vor allem die USA und einige Länder in Europa. Ich sagte ja schon: Die Deutschen wollen dort auch ihre Sonderwünsche unterbringen, wie in der Frage der Isolierung Chinas. Man muss sehen, dass sich das wieder ändert. Dann kann die G20 als Format auch wieder eine positivere Rolle spielen.
Mein Newsletter
Abonnieren Sie den Newsletter von Andreas Wehr. Der Newsletter informiert unregelmäßig (10 bis 12 mal im Jahr) über Publikationen, Meinungen und Bucherscheinungen und wird über den Newsletter-Anbieter Rapidmail versendet.