Zwei Linien
Streit um Draghis Euro-Kurs
Der Streit zwischen Europäischer Zentralbank (EZB) und
Deutscher Bundesbank um den richtigen Kurs in der Euro-Krise geht in die zweite
Runde. Offen ausgebrochen war er im Juli 2012, als EZB-Präsident Mario Draghi
verkündete, er werde »alles Notwendige veranlassen«, um einen Zusammenbruch der
Euro-Zone zu verhindern. Das »Notwendige« bestand im unbegrenzten Aufkauf von
Anleihen der Defizitstaaten, um deren Zahlungsfähigkeit zu erhalten. Hinzu
kamen eine Geldschwemme für notleidende Banken und die Absenkung des
EZB-Leitzinses gegen Null. Für die Bundesbank waren all dies unzulässige
Vereinnahmungen der Zentralbank für politische Zwecke. Doch der deutsche
Widerstand gegen den Draghi-Kurs scheiterte. EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark
nahm seinen Hut, und Bundesbankpräsident Jens Weidmann blieb im Direktorium der
Zentralbank isoliert.
In einem Spiegel-Interview zieht Draghi nun stolz Bilanz. Er sieht »viele
ermutigende Zeichen« und macht sich lustig über »die perverse Angst« seiner
Gegner, die sich als grundlos herausgestellt habe. Er kann darauf verweisen, dass
mit der deutschen Strategie des Nichthandelns die Euro-Zone in kürzester Zeit
gescheitert wäre. Sein Vorgehen stellt eine der Krise angemessene
staatsmonopolistische Regulierung im Interesse des großen, europäischen Ganzen
dar. Und so war es denn kein Zufall, dass Draghi dies dem Spiegel sagte, dessen
Leser am ehesten für Europa zu gewinnen sind.
Ebenfalls kein Zufall war es, dass Draghis Gegenspieler, Jens Weidmann, darauf
in Bild antwortete – spielt das Blatt doch gern den Anwalt derer, die fürchten,
dass ihr Geld im Süden verprasst werde. Nach Weidmann stehe es um die
Defizitstaaten keineswegs so gut, wie von Draghi behauptet. Tatsächlich gibt es
für Griechenland, Portugal und Zypern keine Hinweise auf Besserung. Dies ist
auch nicht verwunderlich, wird doch permanent der Kürzungsdruck auf diese
Länder erhöht, ohne ihnen zugleich eine Wachstumsperspektive zu bieten. Hierbei
verhält sich die EZB ganz und gar neoliberal. Ihr Kurs bietet daher keinen
Ausweg aus der Krise, er gibt bestenfalls Zeit für eine Atempause.
Draghis Triumph ist aber noch aus einem weiteren Grund voreilig. Leitzinsen
nahe Null entwerten Sparguthaben und machen Lebensversicherungen unattraktiv.
Damit bringt die EZB die Anhänger der EU im Zentrum gegen sich auf. Ökonomen
wie Hans-Werner Sinn sind bereits auf Gegenkurs zu ihr gegangen, und die
Euro-skeptische »Alternative für Deutschland« profitiert von der schlechten
Stimmung. Die von Draghi jetzt gesehenen »ermutigenden Zeichen« könnten sich
daher als Irrlichter erweisen.
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