Ver.di-Zeitung Publik im Kriegsmodus
In der Ver.di-Mitgliederzeitung Publik findet sich seit einiger Zeit eine Kolumne mit dem Titel „Update Ukraine“. Hier schreibt Olha Vorozhbyt, die stellvertretende Chefredakteurin des Nachrichtenmagazins Ukraijinskyi Tyschden, nach Angabe von Publik „regelmäßig für uns ein Update aus der Arbeitswelt in der Ukraine“. Olha Vorozhbyt ist auch Autorin auf der Website „Die Ukraine verstehen“ des „Zentrums Liberale Moderne“, ein Projekt des ehemaligen Maoisten und Politikers der Grünen Ralf Fücks sowie von Marie-Luise Beck, ebenfalls von den Grünen.
Von der katastrophalen Arbeitswelt in der Ukraine, die gekennzeichnet ist von extremen Niedriglöhnen, Arbeitsmigration und staatlich unterdrückten Gewerkschaften – und das alles schon lange vor der Eskalation des Krieges im Februar 2022 – erfährt man in der Kolumne von Olha Vorozhbyt aber leider nichts.[1] Stattdessen werden dem Leser Durchhalteparolen und pure Kriegspropaganda geboten. In der Ausgabe 1-2023 von Publik kann man unter der Überschrift „Das Jahr, das alles veränderte“ über die Entwicklung des Arbeitsmarktes in der Ukraine lesen: „Seine stabile Entwicklung erfordert jedoch eines – den vollständigen Sieg der Ukraine in diesem Krieg.“ Dies ist das offizielle Kriegsziel der ukrainischen Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj: Vollständiger Rückzug der russischen Truppen und Aufgabe aller besetzten Territorien, einschließlich der Krim. „Pobeda“ (Sieg) lautet die Parole.
Eine solche Forderung verlangt die unbegrenzte Fortführung und Intensivierung des Krieges, die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen, und sie führt nur zu mehr Zerstörung, mehr Leid und mehr Toten. Jeder sachkundige Beobachter der Situation weiß aber, dass es den von Olha Vorozhbyt geforderten „vollständigen Sieg der Ukraine in diesem Krieg“ nicht geben wird. Er wird mit einem Kompromiss enden und dies hoffentlich bald. Wäre es für eine Gewerkschaftszeitung nicht angebracht, die Forderung nach einer Beendigung der Kampfhandlungen und nach einem Verhandlungsfrieden zu unterstützen, statt publizistisch mit der Forderung nach dem Sieg der Ukraine immer nur weiteres Öl ins Feuer zu gießen?
Ganz offensichtlich nicht, denn auf die unsägliche Kolumne angesprochen hat die Chefredakteurin von Publik, Petra Welzel, sie vehement verteidigt: Olha Vorozhbyt habe danach das Recht, sich einen Sieg ihres Landes zu wünschen. Zugleich betonte Welzel jedoch, dass die Meinung der Autorin für sich stehe und weder ihre Haltung noch die von ver.di spiegele. Doch wie soll man das verstehen? Eine Kolumne in einer Gewerkschaftszeitung, in der zur Fortsetzung des Krieges bis zum „vollständigen Sieg der Ukraine“ aufgerufen wird, die aber nicht zugleich die Meinung der Gewerkschaft spiegelt? Weshalb steht dann so etwas überhaupt im Blatt? Und warum kommt nicht auch die Gegenposition, etwa ein Vertreter des „Manifest für Frieden“, initiiert von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, in Publik zu Wort? Unter den inzwischen 750.000 Unterzeichnern dieses Manifests dürften auch viele ver.di-Mitglieder sein, die das sicherlich begrüßen würden.
Es ist ganz offensichtlich, dass sich sowohl die Zeitschrift Publik wie auch die Führung von ver.di eingereiht haben in den regierungsoffiziellen Chor, der allein in Russland den Verantwortlichen für den Krieg sieht und über die vorangegangenen Taten der Ukraine sowie der NATO schweigt. Und ganz so wie die Regierungsparteien und die CDU/CSU wünscht man der Ukraine den Sieg und Russland die Niederlage.
Dazu passt, dass ver.di im August 2022 einen Aufruf „Für Solidarität und Zusammenhalt jetzt“ veröffentlichte in dem es u.a. hieß: „Russlands Machthaber Wladimir Putin will die westlichen Demokratien destabilisieren und spalten. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf: Treten wir dieser zerstörerischen Strategie durch unseren Zusammenhalt gemeinsam entgegen!“ Das ist nichts anderes als der übliche NATO-Jargon.
Die Parteinahme von ver.di für die Linie der Bundesregierung ist alles andere als Zufall. Unter Vorsitz des heutigen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Frank Bsirske, hat die Gewerkschaft einen stetigen Vergrünungsprozess personell wie auch inhaltlich erlebt. So war die heutige Chefredakteurin von Publik, Petra Welzel, lange Zeit für die den Grünen nahestehende taz als Journalistin tätig, sie schrieb für sie über die jugoslawischen Bürgerkriege. Und zu dieser Entwicklung passt, dass ver.di gemeinsam mit der auf die Grünen orientierenden Bewegung „Fridays for Future“ am 3. März 2023 einen gemeinsamen Aktionstag durchführte. Obwohl das von „Fridays for Future“ geforderte „sofortige Ende der Subventionen für fossile Energieträger“ wohl kaum eine Position der deutschen Gewerkschaftsbewegung sein dürfte!
Es ist höchste Zeit, dass sich die vielen bei ver.di Aktiven, die sich gerade in diesen Tagen für die Streikforderungen ihrer Gewerkschaft einsetzen, einmal genauer hinsehen, welche Positionen ihre Gewerkschaft sonst noch so vertritt, schließlich brauchen wir keine Gewerkschaft, die in ihrer Zeitschrift Kriegstreibern Platz bietet.
[1] Vgl. zur fatalen Situation der Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaften in der Ukraine den Artikel von Werner Rügemer „'Unsere europäischen Werte' – Höchste Militärausgaben, niedrigste Löhne: Notizen zum Standort Ukraine“, in: Wolfgang Gehrcke/Christiane Reymann (Hg.) Ein willkommener Krieg? NATO, Russland und die Ukraine, PapyRossa Verlag, Köln 2022, S. 63-77. Der Artikel findet sich auch auf den "Nachdenkseiten".
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