Unmögliches Bündnis
Rot-Rot-Grün wird es nicht geben: Die Linke in der Regierung gibt es nur bei einem Ja zu Hartz IV und bedingungsloser Unterstützung der NATO. Das aber würde die Partei zerreißen
Und nun? Was bleibt der SPD nach dem Wahltag und dem absehbaren,
demütigenden Gang in die große Koalition? Was bleibt den gerupften Grünen, wo
das ersehnte »rot-grüne Reformbündnis« jetzt so fern wie nie ist? Die Zeit
scheint reif zu sein für eine tabulose Neuordnung der politischen Landschaft,
und das Zauberwort hierfür heißt Rot-Rot-Grün. Nicht heute und nicht morgen,
aber spätestens 2017 soll dieses Bündnis wahr werden.
Bereits im Wahlkampf war davon die Rede. Ausgerechnet die Frankfurter
Allgemeine Zeitung sorgte sich um das Überleben der Linkspartei: »Sollte es ihr
bis 2017 nicht gelingen, nicht nur für Wähler, sondern auch für potentielle
Bündnispartner attraktiv zu sein, dürfte sich der Fall erledigt haben.« (FAZ
vom 20. August) Es wurde darüber spekuliert, wie ein rot-rot-grünes Bündnis
zustande kommen könnte: »Gemutmaßt wird gar darüber, den etwaigen schwarz-roten
Koalitionsvertrag mit einer Sollbruchstelle zu versehen, um in der laufenden
Legislaturperiode einen Regierungswechsel zu vollziehen. Für Gabriel, der
diesmal vor allem wegen seiner negativen Beliebtheitswerte auf eine eigene
Kanzlerkandidatur verzichtete, hätte ein Manöver in Richtung Linksbündnis, zum
Beispiel 2015, den Charme, ohne Bundestagswahl ins Kanzleramt zu gelangen. Zwei
Jahre später könnte er sich dann mit der Aura des Amtsinhabers dem Volk
stellen.« (FAZ vom 27. August) Und über die Strategie der SPD hieß es: »Sie hat
die Linkspartei als Bündnispartner fest im Blick, allerdings die im Osten,
nicht die im Westen. Die würde sie am liebsten kaltstellen.« (FAZ vom 3.
September) Andere Medien zogen nach. Das kommende Bündnis, für das sogar die
Formel »r2g« – zwei mal Rot und Grün bzw. ready-to-go – kreiert wurde,
beschäftigte alle, von Welt bis taz. Einer seiner eifrigsten Verfechter wurde
Jakob Augstein in seinem Freitag. Und schließlich wurde darüber sogar bei Anne
Will diskutiert.
Über die Haltung der Linkspartei hieß es am 11. September in der Berliner
Zeitung »Gysi hat 2017 fest im Blick«. In einem Interview erklärte dieser auf
die Frage »Bewegt sich bei der SPD etwas?«: »Noch nicht. Aber sie wird das nach
dem 22. September tun. Wenn die SPD dann Juniorpartner der Union werden sollte,
wird sie nachdenken, ob diese Qual ewig währen und ihre einzige Chance bleiben
soll zu regieren. Wenn Schwarz-Gelb wieder gewinnt, wird die SPD ihr Verhältnis
zu uns auch überprüfen.« (taz vom 10. September) Auch andere Linke ignorierten
die »roten Haltelinien« und ließen durchblicken, dass man schon gern Ja sagen
würde, würden sich SPD und Grüne nur trauen. In der Öffentlichkeit wurde dies
alles als plumpe Anbiederei bezeichnet. Ganz falsch lag man damit nicht.
Doch wie realistisch ist » r2g« überhaupt? Für einen Kurswechsel, d.h. für
einen Linksschwenk von SPD und Grünen spricht nichts. Ganz im Gegenteil: Die
2003 gegen damals noch erbitterten innerparteilichen Widerstand durchgesetzte
Agenda 2010 wird heute, zehn Jahre später, in der SPD nicht mehr ernsthaft in
Frage gestellt. Ebenso ist es mit der Rente erst ab 67. Im Wahlprogramm gab es
zwar den einen oder anderen relativierenden Satz, doch in der Substanz wurde
nichts zurückgenommen. Unzählig sind dort die Selbstlobe, wonach mit der
Schröderschen Agenda-Politik das Land erst fit gemacht worden sei: Es sei die
SPD gewesen, die die Grundlage für die deutsche Überlegenheit in Europa gelegt
habe, heißt es dort, von der die Kanzlerin Merkel heute profitiere.
Nicht anders sieht es in der Friedenspolitik aus. Fast ein Jahrzehnt hat es
gedauert, bis auch die SPD einer Beteiligung deutscher Soldaten an weltweiten
Kriegen zustimmte. Wie grundlegend die Veränderung hier ist, wurde deutlich,
als ausgerechnet Heidemarie Wieczorek-Zeul, die als Parteilinke lange
Widerstand gegen den Kurswechsel geleistet hatte, im Bundestag Außenminister
Guido Westerwelle (FDP) dafür maßregelte, dass er sich im UN-Sicherheitsrat bei
der Resolution über Libyen der Stimme enthalten hatte. Die Grünen wurden 1999
von Joseph Fischer zum Kosovo-Krieg geprügelt. Heute stimmen sie selbst als
Oppositionspartei allen Afghanistan-Mandaten brav zu.
Diese einschneidenden Richtungsänderungen waren bei SPD und Grünen mit
erbitterten innerparteilichen Kämpfen und mit Austritten Zehntausender
Mitglieder verbunden. Getragen im wesentlichen von ehemaligen SPD-Mitgliedern
kam es bekanntlich sogar zu einer Parteineugründung, der WASG. Nichts spricht
dafür, dass sich die heute wieder fest im Sattel sitzenden Parteieliten diese
Siege wieder nehmen lassen wollen. Dort weiß man sehr genau, daß von ihnen in
einer Bundesregierung eine ganz bestimmte Politik erwartet wird. Schließlich
handelt es sich bei Deutschland um eine der wirtschaftlich mächtigsten Nationen
der Welt, um das, nach den USA und Japan, drittwichtigste imperialistische Land
des Westens, das in der EU eine hegemoniale Stellung einnimmt. Dies verlangt
sowohl eine Politik zur Sicherung der Interessen der deutschen Monopole
weltweit als auch die bedingungslose Bejahung der NATO als Ausdruck der
Bereitschaft, westliche Interessen notfalls auch militärisch durchsetzen zu
wollen. Dazu kommt die Verpflichtung auf ein Ja zur EU als deutsche
Staatsräson. All diese Bedingungen für eine mögliche Regierungsübernahme
erfüllen heute SPD und Grüne. Der Preis, den sie dafür zahlen müssen, ist
allerdings hoch. Die SPD hat durch ihre Agenda-Politik das Vertrauen großer
Teile der Lohnabhängigen auf Dauer verloren. Deshalb kommt sie bei den Wahlen
kaum über 20 Prozent hinaus. Und die Grünen sind zu einer Partei der Mitte, der
Beliebigkeit mit Koalitionsoptionen in alle Richtungen herabgesunken.
Natürlich ginge »r2g« auch anders. Dies setzte allerdings voraus, dass die Linke
denselben Weg wie SPD und Grüne geht und von diesen ununterscheidbar wird.
Verlangt würde von ihr die Hinnahme von Hartz IV sowie der Rente mit 67. In der
Europapolitik hätte sie sich zum Lissaboner Vertrag mit der dort
festgeschriebenen Militarisierung und der Aufrüstungsverpflichtung zu bekennen.
Notwendig wäre ihre bedingungslose Unterstützung der NATO. Es gehört nicht viel
Phantasie dazu vorauszusagen, dass dies Die Linke zerreißen würde, und das
keineswegs an der Nahtstelle zwischen Ost und West, sondern mittendurch. Ein
rot-rot-grünes Bündnis kann es daher nur bei Zerstörung der Partei Die Linke
geben. SPD und Grüne würde dies allerdings schon gefallen.
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