Transnationaler Kapitalismus?
Eine Antwort auf Conrad Schuhler [1]
Was ist Imperialismus? Steht der Begriff für jene Phase des Kapitalismus, in der sich die Widersprüche zwischen imperialistischen Staaten verschärfen, sodass selbst Kriege unter ihnen möglich werden, werden sie nicht von antiimperialistischen Kräften verhindert? Oder bringt der Imperialismus beständig einen Ausgleich seiner internen Widersprüche hervor? Für die erste Position steht in der Theorie der Arbeiterbewegung Lenin, und hier vor allem seine Schrift Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Für die zweite steht Karl Kautskys These von der „Phase des Ultraimperialismus, d. h. des Überimperialismus, der Vereinigung der Imperialismen der ganzen Welt, nicht aber ihres Kampfes, eine Phase der gemeinsamen Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital“. [2]
Der Verlauf der Geschichte gab Lenin Recht. Die zwei Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts hatten ihre Ursache in zwischenimperialistischen Widersprüchen. Im zweiten versuchten die Emporkömmlinge Deutschland, Italien und Japan, die etablierten Weltmächte USA, Großbritannien und Frankreich von der Führung zu verdrängen.
Zwar wird der Begriff „Ultraimperialismus“ heute kaum noch verwendet, doch als gedankliche Konstruktion ist die Vorstellung einer Milderung, wenn nicht gar Ausschaltung ihres Konkurrenzkampfs, weiterhin lebendig. Ausdruck davon geben Begriffe, die heute ein neues, da internationalisiertes Stadium der kapitalistischen Entwicklung beschwören. Die Rede ist von einer „Transnationalisierung“ [3], der Herrschaft einer „transnationalen Finanzoligarchie“ [4] oder von einem „transnationalen Hightech-Kapitalismus“ [5]. Sogar von nur noch nationalen bzw. europäischen Abteilungen eines „globalen Kapitals“ [6] ist die Rede. Neuerdings wird dafür der Begriff des „kooperativen Kapitalismus“ [7] verwendet. Den Ausgleich garantieren soll das die imperialistischen
Staaten beherrschende „transnationale Kapital“. Vor allem im Verhältnis zwischen den USA und der EU bzw. Deutschland soll das gelten.
Deutsches Kapital zweitrangig?
In seinem Vortrag beim 21. Friedensratschlag in Kassel spricht demgemäß Conrad Schuhler davon, dass „es sich bei Kooperation und Konflikt zwischen den USA und Europa und dessen Zentralmacht nicht um einander entgegengesetzte nationale Kapitalgruppierungen handelt, sondern um ein transnationales Kapital, das in beiden Regionen die entscheidende wirtschaftliche Macht hinter den jeweiligen politischen Eliten darstellt“. Das deutsche Kapital sei dabei nur noch zweitrangig: „Deutschland ist in einem gewissen Sinn zu einer erweiterten ,Homebase’ des angloamerikanischen Kapitals geworden.“ Als Begründung führt er an: „Vor 13 Jahren lag der Anteil der angloamerikanischen Investoren am Kapital der größten deutschen Konzerne bei 33 Prozent, bis 2012 ist er auf 58 Prozent geklettert. Die große Mehrheit des DAX-Kapitals ist in der Hand von Anglo-Amerikanern.“ Verwiesen wird auf eine angeblich zentrale Rolle des US-amerikanischen Vermögensverwalters Blackrock: „Diese US-Firma ist nicht nur größter Aktionär der Deutschen Bank, sie ist auch Großaktionär bei allen übrigen DAX-Konzernen. Mit diesem Einfluss und mit diesem Insiderwissen ist sie eine entscheidende Größe in der deutschen Wirtschaftspolitik.“
Mit seiner Behauptung von der Unterordnung des deutschen unter das angloamerikanische Kapital, und hier vor allem unter die Macht von Blackrock, wärmt Schuhler aber nur eine Kontroverse auf, die 2013 in der Zeitschrift Marxistische Erneuerung – Z ausgetragen und geklärt wurde. Anlass dieses Streits war der Artikel „Transnationale Verflechtung und Stellung des deutschen Kapitals in der EU“ von Kees van der Pijl und Otto Holman in Heft 93 der Z. Deren zentrale Aussage lautete, „dass das deutsche Kapital seine historische Position in der Weltwirtschaft im Zuge der Restauration der deutschen Vorrangstellung in Europa, die es mit dem zweiten Weltkrieg verloren hatte, wiedergewonnen hat.“ [8]
Auf Pijl/Holman antwortete im folgenden Heft 94 der Z Werner Rügemer. Er bestritt die zentrale Aussage von van der Pijl und Holman hinsichtlich der Rückgewinnung der historischen Position des deutschen Kapitals: „Das ist in einer gewissen Hinsicht richtig, im Wesentlichen aber falsch. Denn die deutsche Vormachtstellung in Europa und insbesondere in der EU ist überformt und durchdrungen durch angelsächsisches, insbesondere US-Kapital und ihrer Hilfstruppen“ [9]. Rügemer begründete das mit einer zentralen Rolle von Blackrock und anderen angelsächsischen Hedge Fonds und Vermögensverwaltern. Schuhler übernimmt in seinem Kasseler Vortrag wortwörtlich die Argumentation Rügemers, ohne dies allerdings kenntlich zu machen. Er verschweigt auch, dass der Angriff von Rügemer auf Pijl/ Holman noch im gleichen Heft der Z von den Redakteuren der Zeitschrift, Jörg Goldberg und Andre Leisewitz, ausführlich beantwortet wurde.
Stamokap ausgeklammert
Goldberg und Leisewitz bestritten darin, dass man unter „deutschem Kapital“ nur dasjenige verstehen darf, das auch im deutschen Eigentum steht. Diese zunächst paradox klingende These wird verständlich, berücksichtigt man, dass sich die Macht kapitalistischer Unternehmen erst voll entfalten kann, wenn sie national organisiert ist und so der jeweilige Nationalstaat zu einem mächtigen Hebel zur Durchsetzung ihrer Interessen wird. Sie benötigen ihn im Inneren zur Unterdrückung der gleichfalls im nationalstaatlichen Rahmen organisierten Arbeiterklasse. Und sie benötigen ihn im Äußeren, im imperialistischen Konkurrenzkampf mit anderen Konzernen und deren Staaten. Zu Recht werfen Goldberg und Leisewitz daher Rügemer vor, dass er in seiner Kritik „die Beziehungen zwischen Kapital und Staat aus(klammert), was aber zur Bestimmung von Machtbeziehungen unerlässlich ist“ [10]. Gemeint ist hier das gesamte staatsmonopolistische Machtgeflecht. [11]
Deutschland ist für das hereinströmende ausländische Kapital ja vor allem deshalb so attraktiv, weil der bundesdeutsche Staat dem Kapital – ganz gleich, ob es sich nun um inoder ausländisches handelt – eine gute Infrastruktur, Rechtssicherheit, eine gezähmte Arbeiterklasse sowie aufgrund der internationalen Machtstellung Deutschlands einen europäischen Binnenmarkt und eine aggressive Währungs- und Außenhandelspolitik bieten kann. Es ist demnach ein Kurzschluss, wenn Rügemer und ihm folgend Schuhler die starke Präsenz ausländischen und hier insbesondere US-amerikanischen Kapitals gleichsetzen mit einem Bedeutungsverlust des deutschen Kapitalismus, indem er kurzerhand als „angelsächsisch überformt“ (Rügemer) dargestellt oder der deutsche Staat gar zu einer „erweiterten ,Homebase’ des angloamerikanischen Kapitals“ (Schuhler) degradiert und damit verharmlost wird. Es gilt vielmehr das Gegenteil: Erst ein starkes, national organisiertes, staatsmonopolistisches Regime ist Voraussetzung, um im internationalen Wettbewerb um anlagesuchendes Kapital erfolgreich konkurrieren zu können. Und hier spielt der deutsche Staat bekanntlich in der ersten Liga.
Auf die Kritik von Goldberg und Leisewitz antwortete Rügemer in der Ausgabe 95 der Zeitschrift Z ausführlich. Doch berührte er den zentralen Einwand gegen seine Argumentation nur ganz am Rande: „Die Charakterisierung des Kapitals als ,deutsch’ beruht also lediglich auf einem politischen Kriterium. Dabei bleiben die Eigentumsverhältnisse vollkommen ausgeblendet. Es wird nicht einmal im Ansatz gefragt, wie das Kapital der Unternehmen in einem Staat überhaupt zusammengesetzt ist“ [12]. Die von ihm geforderte Konzentration auf die Frage, ob sich das Kapital jeweils im Eigentum von in- oder ausländischen Kapitalisten befindet, greift aber – wie dargestellt – viel zu kurz.
Aus der Geringschätzung der Politik durch Rügemer und Schuhler folgt, dass der von Gewerkschaften und linken Parteien im bürgerlichen Nationalstaat geführte Kampf um seine Veränderung und Überwindung für sie keinen wirklichen Sinn mehr macht. Denn geht es nach ihnen, so findet der Kampf gegen den Kapitalismus nur noch transnational und damit im Nirgendwo statt.
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Quellen und Anmerkungen:
[1] Gegenstand der Kritik ist hier das Referat von Conrad Schuhler (Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung – isw), „Europäer vs. Atlantiker“, gehalten beim 21. Friedensratschlag am 6./7.12.2014 in Kassel, http://politik-im-spiegel.de/tag/ conrad-schuhler/. Zitate aus dem Referat werden im Text mit dem in Klammern gesetzten Namen des Referenten kenntlich gemacht.
[2] Karl Kautsky, Zwei Schriften zum Umdenken, in: Neue Zeit, Bd. 2, Berlin 1915, S. 144
[3] Mario Candeias, Kukas Oberndorfer, Anne Steckner, Neugründung Europas? Strategische Orientierungen, in: Neues Deutschland vom 10.2.2014
[4] Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw), http://www.isw-muenchen.de/ download/seminar-imperialismus-Im-03. pdf
[5] Wolfgang Fritz Haug, Der gespaltene Kosmopolitismus des transnationalen Hightech-Kapitalismus. Editorial, in: Das Argument 282, 2009, S. 559
[6] Conrad Schuhler, Unter Brüdern. Die USA, Europa und die Neuordnung der Welt, PapyRossa Verlag, Köln 2003, S. 151 + 153
[7] Vgl. Deppe, Frank, Imperialer Realismus? Deutsche Außenpolitik: Führungsmacht in „neuer Verantwortung“, Hamburg 2014
[8] Kees van der Pijl und Otto Holman, Transnationale Verflechtung und Stellung des deutschen Kapitals in der EU, in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 93, März 2013, S. 95ff
[9] Werner Rügemer, Deutsches Kapital beherrscht Europa? In: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 94, Juni 2013, S.170
[10] Jörg Goldberg/Andre Leisewitz, Kapital und Nationalität, Kommentar zu Werner Rügemers Kritik an van der Pijl/Holman in Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 94, Juni 2013, S. 173ff
[11] Vgl. hierzu Gretchen Binus, Beate Landefeld, AndreasWehr,Staatsmonopolistischer Kapitalismus, PapyRossa Verlag, Köln 2014, hier vor allem das Kapitel „Kontrolle durch ausländische Finanzinvestoren?“, S. 79ff
[12] Werner Rügemer, „Deutsches“ Kapital? Gibt es das (noch)? Ist das eine wichtige Frage? in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 95, September 2013, S. 160ff
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