Spielen mit »Grexit«
Mit einem Schlag ist die Griechenland-Krise in der politischen Debatte zurück. Sogar über einen möglichen »Grexit«, den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, wird wieder spekuliert. Ärgerlich geben sich auch die Kreditgeber vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) darüber, dass die Wahl ausgerechnet vor der Auszahlung der letzten Kredittranche Ende Februar stattfindet. Der IWF hat angesichts der nun wieder unsicheren Lage die Zahlungen bereits ausgesetzt. Eigentlich sollte das Geld bis Ende 2014 überwiesen sein, doch immer neue Forderungen der Troika, bestehend aus IWF, Europäischer Zentralbank (EZB) und Europäischer Kommission, nach weiteren sozialen Einschnitten verzögerten dies. Doch das könnte sich jetzt als Vorteil für die »Retter« in Washington und Brüssel erweisen. Eine neue griechische Regierung muss nämlich unmittelbar nach ihrer Konstituierung mit der Troika über die Bedingungen für diese Tranche verhandeln. Kommt es zu keiner Einigung, so könnten bald, darauf weist man in Brüssel mit Genugtuung hin, in Griechenland keine Renten und keine Löhne für die Staatsangestellten mehr ausgezahlt werden.
Auch sonst gibt man sich in Brüssel und Berlin gelassen. Es wird darauf verwiesen, dass die linke Partei Syriza zwar noch einen Vorsprung bei den Umfragen hält, der Abstand aber stetig schrumpfe. Die Ermahnung des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble (CDU), das Land müsse am »Reformkurs« unbedingt festhalten, schüchtert Wähler ein. Auch die EU interveniert offen. Der Wirtschafts- und Finanzkommissar Pierre Moscovici erklärte, dass ein »starkes Bekenntnis zu Europa und breite Zustimmung (…) für den nötigen wachstumsfreundlichen Reformprozess« entscheidend seien.
Noch mehr Eindruck könnte aber eine Botschaft an die potentiellen Wählerinnen und Wähler von Syriza machen, die da lautet: Man werde sich auf Verhandlungen mit einem Ministerpräsidenten Alexis Tsipras gar nicht erst einlassen, sondern ihn direkt vor die Alternative stellen, das Land entweder im Sinne der Troika zu regieren oder aber die Eurozone zu verlassen. Diese Drohung wird zwar (noch) nicht von der Kommission bzw. der Bundesregierung ausgesprochen, aber die entsprechenden Statements der Finanzindustrie und von Wirtschaftsforschungsinstituten werden in der internationalen Presse, in Deutschland vom Handelsblatt und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, an prominenter Stelle wiedergegeben. Begründet wird die starke Stellung der Gläubiger mit einer gegenüber vor drei Jahren grundlegend veränderten Situation. Eine Ansteckungsgefahr für andere Euro-Länder sei heute nicht mehr gegeben, die anderen Memorandumsländer Portugal und Irland stünden mittlerweile besser da, und die EU verfüge mit der Bankenunion und einem eingespielten Rettungsmechanismus über Mittel, mit dem auch ein »Grexit« verkraftet werden könne.
Ob diese Zuversicht nur gespielt, also ein »Pfeifen im Walde«, oder echt ist, lässt sich zur Zeit nur schwer sagen. Schließlich würde ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone auch den Weg für einen massiven Schuldenschnitt frei machen, und dabei stünde für den gemeinsamen Währungsraum am Ende viel auf dem Spiel. Die Gesamtschuld des Landes liegt bei nicht weniger als 321,7 Milliarden Euro. Davon halten öffentliche ausländische Gläubiger mehr als 260 Milliarden Euro, was etwa 80 Prozent sind. Allein die Eurohilfsfonds tragen davon 141 Milliarden, der IWF 35 Milliarden und 53 Milliarden die übrigen Euro-Länder. Ein Ausfall auch nur eines Teils dieser Forderungen würde zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen in den europäischen Hauptstätten führen.
Doch als Drohung gegenüber den griechischen Wählern ist der jetzt für möglich behauptete »Grexit« allemal gut. In Brüssel und Berlin weiß man nämlich sehr genau, dass ein Verzicht auf den Euro alles andere als populär unter den Anhängern von Syriza ist. Ein Großteil ihrer Wähler und Mitglieder war nämlich kürzlich noch auf die sozialdemokratische PASOK orientiert. Sie haben Syriza, eine Partei, deren Vorläufer Synaspismos noch vor wenigen Jahren bei Wahlen nie mehr als fünf Prozent erhielt, erst zu dem gemacht, was sie heute ist. Und sie alle wollen den Euro behalten und fürchten eine Existenz außerhalb der EU. Statt dessen fordern sie einen Schuldenschnitt nach dem Vorbild des Londoner Schuldenabkommens mit Deutschland von 1953, doch den wird Tsipras als Ministerpräsident eines Euro-Staates nicht bekommen. Und schon die letzte Tranche der Hilfskredite wird nur dann ausgezahlt werden, wenn er die Generallinie der Troika akzeptiert.
Für Gelassenheit gibt es demnach in Brüssel und Berlin guten Grund, schließlich weiß man dort, dass man am längeren Hebel sitzt.
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