Souveränität gegen Geld
Die Krise hält die EU weiter fest in ihrem Griff. Beim heute beginnenden Ratsgipfel in Brüssel geht es einmal mehr um die Zukunft der Eurozone. Ihre Krisenbilanz ist ernüchternd. Die »Hilfsmaßnahmen« für Griechenland und Irland haben ihre Wirkung verfehlt. Irland wurde inzwischen erneut, diesmal von der Ratingagentur Fitch, herabgestuft. Dabei ging es gleich um drei Noten auf BBB+ runter. Griechenland versinkt in der Depression. Auch im dritten Quartal 2010 schrumpft seine Wirtschaft, diesmal um 4,6 Prozent. Das einzige, was in den europäischen Peripheriestaaten noch wächst, ist die Arbeitslosigkeit. In Irland und Griechenland liegt sie nun bei über 12 Prozent. Noch höher ist sie in Spanien und in den baltischen Ländern. Hier hat sie die 20 Prozentmarke bereits erreicht.
Streit um Euro-Bonds
Angesichts einer solchen »Erfolgsbilanz« liegen die Nerven der europäischen Spitzenpolitiker blank. Nur so ist der Streit um den Vorschlag des luxemburgischen Chefs der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, zur Einführung von Euro-Bonds zu erklären. Geht es nach ihm, so sollen wirtschaftlich starke Staaten zusammen mit schwächeren gemeinsam Anleihen aufnehmen. Von Italien, Portugal und Griechenland wird er dabei unterstützt, denn die hohen Renditezinsen für diese Länder ließen sich so reduzieren. Allerdings erhöhen sich dann im Gegenzug auch die Zinsen für daran beteiligte solvente kerneuropäische Staaten wie etwa Frankreich oder Deutschland. Nach einer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verbreiteten Studie würden auf den Bundeshaushalt dadurch jährliche Mehrkosten in Höhe von 17 Milliarden Euro zukommen. Die Transferunion wäre Realität. Wen wundert es da, dass der Vorstoß von Juncker sogleich in Berlin und in Paris mit schroffen Worten zurückgewiesen wurde. Juncker zahlte mit gleicher Münze zurück und warf der Bundesregierung »eine sehr uneuropäische Art«, sprich eine antieuropäische Haltung, vor. Das wollte man sich dort nicht bieten lassen. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt verlangte in Bild umgehend eine Entschuldigung. Bis auf weiteres ist jedenfalls der in Deutschland bisher so beliebte Karlspreisträger Juncker hier kein gern gesehener Gast mehr.
Die Auflegung solcher Euro-Bonds bietet aber keine Lösung des Problems. Sahra Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, hat darauf hingewiesen: »Die Euro-Anleihen sind vielmehr äußerst attraktiv für die Banken. (…) Außerdem entsteht die akute Gefahr, dass sich schwächere Länder als Gegenleistung zur Inanspruchnahme der Euro-Bonds in ihre Haushaltspolitik hineinreden lassen müssten.« (junge Welt vom 10. Dezember) Wie dieses »Hineinreden« konkret aussehen würde, kann man bereits in den Vereinbarungen studieren, die Griechenland und Irland im Gegenzug für die ihnen gewährten Stützungen mit der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds abschließen mussten. Darin wurden den beiden Ländern bis ins letzte Detail genaue Vorgaben für die Haushalts, - Arbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik diktiert. Selbst über Infrastrukturmaßnahmen entscheiden nun Brüssel und Washington mit. Die nationale Souveränität musste dementsprechend in wichtigen Bereichen aufgegeben werden. Völlig richtig wurde im Fall Irlands davon gesprochen, dass »ein Land de facto unter ausländisches Protektorat gestellt wird«. (FAZ vom 22. November)
Diktatpolitik
So ist die Ablehnung der Euro-Bonds durch Berlin und Paris auch nur vorläufig. Liegen erst einmal die Instrumente für eine dauerhafte Bevormundung der Defizitländer vor, so ließe man mit sich auch über gemeinsame Anleihen und damit über eine gewisse Transferunion reden. Nach Merkel muss aber zuvor »die Wirtschaftsregierung ›noch sehr viel stärker und massiver werden‹. Merkel und Sarkozy deuteten an, dass das Steuerrecht und das Arbeitsrecht in der Euro-Zone stärker vereinheitlicht werden könnten. Die Kanzlerin sprach von ›Kohärenz der Wirtschaftspolitik‹.« (Financial Times Deutschland vom 13. Dezember) Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble forderte, »nationale Hoheiten an die Gemeinschaften abzugeben. (…) Ohne das eine sei das andere nicht zu haben. Die Bundesregierung stehe jedenfalls bereit, über alles zu reden.« (Souveränität gegen Geld, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. Dezember) Mit anderen Worten: Vor jeder Hilfszusage verlangen wir die Anhebung des Renteneintrittsalters auf deutsches und französisches Niveau, die Senkung der Lohnquote nach deutschem Vorbild und die Absenkung der Sozialleistungen auf die entwürdigen deutschen Hartz-IV-Sätze. Seitdem Sarkozy kürzlich verkündete, dass die »Reformpolitik« Deutschlands nun auch für sein Land Vorbild sei, hat Merkel einen festen Verbündeten für ihre Position gefunden, dass zukünftig in der EU nur noch der bestimmen darf, der auch anschafft. Europa wird damit noch deutscher! Der Gipfel in Brüssel wird in diesem Sinne die Kommission ermutigen, weitreichende Maßnahmen zur Kontrolle der Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten zu verabschieden. Damit wird zugleich der zukünftige Weg der EU klarer. Der Tausch, Hilfen für die Defizitländer nur gegen deren Souveränitätsverzicht, wird institutionalisiert.
Nichts Neues wird man hingegen vom Brüsseler Gipfel über die von Merkel noch im Herbst erhobene Forderung nach einer Beteiligung privater Gläubiger, hier vor allem der Banken, an der Reduzierung der Schulden der Defizitländer hören. An dieser Stelle wurde vorausgesagt, dass es sich nur um eine »geniale Täuschung« (junge Welt vom 15. Oktober) handelte, mit der lediglich eine über die dreisten Spekulationsgewinne der Banken empörte Öffentlichkeit beruhigt werden sollte. So ist es gekommen. Aus der Forderung nach einem »Haircut« ist inzwischen eine harmlose Bitte zur Beteiligung der Banken an einem möglichen Forderungsverzicht geworden. Und auch diese Bitte soll erst nach 2013 an sie herangetragen werden dürfen.
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