Schauspiel einer Wahl

Nach der Anhörung der Kandidaten stimmt das Europaparlament in Brüssel über die neue EU-Kommission ab. Überraschungen sind nicht vorgesehen.

Ab Ende November wird in Brüssel eine neue Europäische Kommission amtieren. Doch zuvor wird über sie noch das Europäische Parlament abstimmen. Das wird aber weniger eine Wahl als eine Bestätigung, ein Abnicken sein, denn mit Demokratie, wie man sie aus Nationalstaaten kennt, wie unzulänglich sie immer auch dort sein mag, hat das alles nichts zu tun. Die Kommissionsmitglieder werden nicht vom Europäischen Parlament vorgeschlagen, sondern jedes EU-Mitgliedsland präsentiert einen, d.h. seinen. Anschließend hat der für das Amt des Kommissionspräsidenten Vorgesehene die Vorschläge zu sichten und den Kandidaten die Ressorts zuzuweisen.

Das „Who is Who“ der vorgeschlagenen Kommissare liest sich wie ein Verzeichnis ehemals nationaler Politiker. Unter ihnen sind allein 19 ehemalige Minister und sieben frühere Regierungschefs. Der einstige baden-württembergische Ministerpräsident Günter Oettinger wird also weiterhin unter seinesgleichen amtieren dürfen. Und selbst der vorgesehene Kommissionspräsident ist ein Ehemaliger: Jean-Claude Juncker wurde als Luxemburger Regierungschef nach 18 Amtsjahren 2013 abgewählt, da man seiner überdrüssig geworden war und er zudem nie Klarheit über seine Rolle bei der dubiosen Luxemburger Bombenlegeraffäre schaffen konnte (junge Welt berichtete). Doch für europäische Spitzenpositionen sind die Abgewählten und aus dem Land Gejagten allemal noch gut genug.

In der vergangenen Woche waren nun die zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments aufgerufen, die Kandidaten anzuhören. Anders als in den Medien behauptet, wurde dabei niemand „gegrillt“. Dies ließ schon das Verfahren nicht zu: Sortiert nach der Größe der Fraktionen konnten die Abgeordneten jeweils nur eine einzige Frage von einer Minute Länge stellen. So gerieten die Anhörungen zu einem bloßen Frage-Antwort Spiel ohne Zuspitzungen. Ursprünglich war sogar geplant gewesen, die Fragen 24 Stunden zuvor der Kommissionsverwaltung vorzulegen. Doch davon sah man schließlich ab, es hätte zu sehr nach einer „gelenkten Demokratie“ ausgesehen.

Was bei diesen harmlosen Anhörungen dennoch alles zu Tage gefördert wurde, war erstaunlich genug. Da verteidigte der Ungar Tibor Navracsis von der konservativen Fidesz-Partei und früherer Justiz- und Außenminister seines Landes, jetzt nominiert als Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Bürgerschaft, ausgerechnet das ungarische Mediengesetz. Das hatte einen kulturpolitischen Kahlschlag zur Folge gehabt und war selbst von Brüssel nicht hingenommen worden. Da weigerte sich der von der britischen konservativen Regierung präsentierte Baron Hill of Oareford – genannt Jonathan Hill - die Liste der Kunden seiner Ex-Finanzberatungsfirma herauszurücken. Dennoch soll der „Kommissar der City of London“ (Fabio de Masi, Die Linke) nun für europäische Finanzen zuständig werden. Und schließlich wird mit dem Spanier Miguel Arias Cañete künftig einer für Klimapolitik und Energie verantwortlich zeichnen, der noch bis vor kurzem Anteile von Ölfirmen hielt und von deren Aktien sich weiterhin einige im Portefeuille seines Bruders befinden. Doch in die  Vermögensverhältnisse seines Bruders habe er schließlich keine Einsicht, verteidigte er sich wenig glaubhaft.    

Doch das alles ist angeblich kein Problem! Für solch unschönen Angelegenheiten hatte sich Juncker ja bereits vorab seine „Bock zum Gärtner-Theorie“ ausgedacht, sie besagt, dass man verdächtigen Kandidaten ausdrücklich solche Ressorts geben solle, für die sie aus Gründen von Interessenskonflikten nicht in Frage kommen. Dann nämlich – und dies ist der Junkersche Witz – stünden sie unter besonderer Beobachtung und würden sich keinen Fehltritt erlauben können. Eine dreistere Rechtfertigung für die offene Unterstützung von Lobbyisten hat man bisher nicht gehört.

Da sich aber nicht alle von dieser Chuzpe überzeugen ließen, griff man zu einem weiteren Trick: Die Ressorts der umstrittenen Kandidaten wurden kurzerhand neu gestrickt. Jonathan Hill verlor auf diese Weise die Zuständigkeit für die Deckelung von Bankerboni, und Tibor Navracsis nahm man das Kulturressort. Sollte auch das noch nicht reichen, so steht mit der Slowenin Alenka Bratusek bereits eine Kandidatin zur Verfügung, die man notfalls ganz austauschen kann. Dies für den Fall, dass die Europaparlamentarier unbedingt darauf bestehen, auch mal einen Vorschlag zurückweisen zu dürfen. Der abgewählten slowenischen Ministerpräsidenten wirft man vor, dass sie sich kurz vor Abtritt ihrer Regierung selbst zur Kommissarin ihres Landes vorgeschlagen hat.

Ein Austausch eines (!) von 28 Kandidaten hat zudem Tradition. Bereits bei der Bestimmung der Kommissionen 2004 und 2009 war ein Vorschlag von den Abgeordneten nicht akzeptiert worden. Doch damals wie heute ist das bloße Symbolik, um der Beteiligung des Europaparlaments an dem Schauspiel einer „Wahl“ Genüge zu tun.         

 

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