Ruinierender Überschuss
Von der Einführung des Euro profitierten vor allem deutsche Unternehmen. Ihr massenhafter Kapitaltransfer in die EU-Länder schuf die Grundlage für die Währungskrise
Voll des Selbstlobs blicken die politisch Herrschenden auf
das Land: »Deutschland hat sich in den letzten Jahren wirtschaftlich so gut
entwickelt wie kaum ein anderer Staat in Europa. Die Wirtschaft geht in das
fünfte Wachstumsjahr in Folge, die Beschäftigung liegt auf Rekordniveau, die
Einnahmen von Staat und Sozialversicherungen sind gestiegen und haben die
öffentlichen Finanzen spürbar entspannt, die Neuverschuldung im Bund konnte
fast auf Null reduziert werden.« So steht es im Vertrag der großen Koalition.
Die Exporterfolge sind in der Tat beeindruckend: »Die deutsche Wirtschaft hat
im Oktober Waren im Wert von 99,1 Milliarden Euro ausgeführt und damit die
bisherige Höchstmarke von 98,7 Milliarden Euro vom März 2012 übertroffen«,
heißt es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Dezember 2013. Da
können die von Austeritätspolitik gezeichneten europäischen Peripheriestaaten
Griechenland, Portugal und Zypern, aber auch Spanien und Frankreich weiterhin
in der Rezession verharren, der »EU-Wachstumslokomotive Deutschland« scheint
das nichts anhaben zu können.
Das deutsche Wachstum beruht auf der Ausfuhr und kaum auf steigender
Binnennachfrage, denn die heimische Nachfrage wird gebremst durch niedrige
Löhnen und eine zu geringe Investitionsquote. Die Politik des »Beggar thy
Neighbour« (lebe auf Kosten deiner Nachbarn) bestimmt die Richtung.
Arbeitslosigkeit wird in die europäische Peripherie exportiert, wo sie
inzwischen katastrophale Ausmaße annimmt. Die deutschen Export- und
Leistungsbilanzüberschüsse stehen denn auch seit Jahren in der Kritik
alternativer Wirtschaftswissenschaftler wie Heiner Flassbeck und Rudolf Hickel,
aber auch beim US-amerikanischen Nobelpreisträger Paul Krugman und der heutigen
Präsidentin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde, die als
französische Ministerin bereits 2010 höhere Löhne in Deutschland anmahnte.
Dass die permanent hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse erheblich zu den
Ungleichgewichten im Euro-Raum beitragen, wird auch in Brüssel erkannt. Mit dem
zur Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes verabschiedeten
»Sixpack«1 können auch solche Überschüsse ins Visier genommen werden. Mit dem
im Frühjahr 2013 hinzugekommenen »Twopack«2 hat die Europäische Kommission nun
Instrumente zu ihrer Korrektur in die Hand bekommen. Bei beharrlichem
Zuwiderhandeln gegen ihre Empfehlungen können sogar Strafzahlungen verhängt
werden.
Erstmals wurden im November dieses Jahres die deutschen Überschüsse von der
Kommission bewertet und kritisiert. Groß war sogleich die Empörung über diese
»Einmischung Brüssels«. Am lautesten beschwerten sich in der Welt vom 14.
November 2013 die deutsche Exportindustrie und die CDU/CSU, aber auch die SPD
wies die Brüsseler Forderungen brüsk zurück: »Die Exportstärke sei ›ein
Eckpfeiler unseres Wohlstandes‹, erklärte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe.
›Man kann Europa nicht stärken, indem man Deutschland schwächt‹, sagte sein
CSU-Kollege Alexander Dobrindt. ›Keinen Handlungsbedarf‹ stellte
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles fest. Der Präsident des Verbandes der
Automobilindustrie, Matthias Wissmann, verwahrte sich gegen die Brüsseler
Kritik. ›Der Exportüberschuss ist kein Ergebnis politischer Markteingriffe,
sondern das Ergebnis einer Wettbewerbsfähigkeit, die sich die deutschen
Unternehmen Tag für Tag neu erarbeiten‹, sagte er.« EU-Kommissionspräsident
Manuel Barroso ruderte denn auch gleich zurück, um die deutsche
Bundesregierung, seinen wichtigsten Verbündeten, nur ja nicht zu verärgern.
Kleinlaut erklärte er: »Es ist sehr gut für Europa, dass Deutschland solch eine
wettbewerbsfähige Volkswirtschaft bleibt. Wir bräuchten mehr Deutschlands in
Europa« (Die Welt vom 14.11.2013). Und so wird es mit Sicherheit kein Verfahren
gegen das Land aufgrund einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts im
Euro-Raum geben.
Günstige Kredite
Und doch birgt der permanent hohe deutsche
Leistungsbilanzüberschuss eine ernsthafte Gefahr für den Erhalt der Euro-Zone,
denn immer offener wird hierzulande die Euro-Rettungspolitik nicht mehr nur aus
linker, sondern auch aus neoliberaler Sicht kritisiert. Und immer häufiger werden
dabei die Leistungsbilanzüberschüsse in Frage gestellt. Zu den prominentesten
Kritikern gehört der Ökonom Hans-Werner Sinn vom Münchener Ifo-Institut. Sinn
gilt als der einflußreichste deutsche Wirtschaftswissenschaftler.
Gefordert wird von ihm nicht weniger als eine grundlegende Korrektur der
wirtschaftspolitischen Ausrichtung. Dazu muss man wissen, dass in die
Berechnung der Leistungsbilanzüberschüsse nicht allein die Warenlieferungen
eingehen, sondern auch die ins Ausland fließenden Kapitalexporte. Die Sicherung
dieser Kapitalexporte war aber einer der entscheidenden Gründe für die
Schaffung der gemeinsamen Währung, fällt doch mit ihr die Gefahr der Entwertung
dieser Auslandsguthaben durch Abwertungen weg. Denn solange die heutigen
Euro-Länder über eine eigene Währung verfügten, konnten sie diese auf- und
abwerten. Kreditkontrakte sind aber von solchen Wechselkursveränderungen
besonders betroffen, da sie regelmäßig mit langen Fristen ausgegeben werden und
im Verhältnis zum Transaktionsvolumen auf relativ kleine Gewinnmargen
ausgerichtet sind.
Die so mit dem Euro erreichte Sicherheit beflügelte den Kapitalexport ungemein.
Vor allem Transfers aus Deutschland schnellten nach seiner Einführung in die
Höhe. Geht man, nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, für die Zeit
zwischen 2002 und 2007 von einer gesamtwirtschaftlichen Ersparnis in
Deutschland von insgesamt 930 Milliarden Euro aus, so wurden davon alleine 58
Prozent ins Ausland transferiert, was insgesamt 539 Milliarden Euro bedeutet.
Nur 42 Prozent wurden hingegen im Inland für öffentliche und private Belange
investiert. Dazu Hans-Werner Sinn: »Mir ist kein Land bekannt, das irgendwann
einmal in seiner Geschichte einen so großen Anteil seiner Ersparnisse ins
Ausland getragen hat.« Den Grund für diesen beispiellosen Kapitalexport sieht
er in der blinden Gier nach höherem Profit dort, und sei der Unterschied noch
so klein: »Überall schien das Gold heller zu glänzen als zu Hause. Die Risiken,
die heute im Blickpunkt stehen, sahen die Investoren nicht, nur die etwas
höheren Renditen, die man andernorts versprach. Deutsche Lebensversicherer und
Banken, vor allem die heute angeschlagenen Landesbanken, haben damals für
höchstens 20 bis 35 Basispunkte, also gerade mal 0,20 bis 0,35 Prozentpunkte,
die sie mehr an Zinsen bekamen, griechische, portugiesische und spanische
Staatspapiere den deutschen vorgezogen.«3 In der Öffentlichkeit wurden in
letzter Zeit die Stimmen derer lauter, die ebenfalls dieses Verbrennen von Geld
im Ausland kritisieren. Vielfältige Klage wird nun darüber geführt, dass man
diese Mittel doch besser zu Hause, etwa für den Erhalt der maroden
Infrastruktur, verwandt hätte.
Für Kenner der Leninschen Imperialismustheorie ist die Klage über die Gier der
Finanzkapitalisten und über die Vernachlässigung des eigenen Landes alles
andere als neu. Bereits 1916 schrieb der russische Revolutionär: »Solange der
Kapitalismus Kapitalismus bleibt, wird der Kapitalüberschuss nicht zur Hebung
der Lebenshaltung der Massen in dem betreffenden Land verwendet – denn das
würde eine Verminderung der Profite der Kapitalisten bedeuten –, sondern zur
Steigerung der Profite durch Kapitalexport ins Ausland, in rückständige Länder.
In diesen Ländern ist der Profit gewöhnlich hoch, denn es gibt dort wenig
Kapital, die Bodenpreise sind verhältnismäßig nicht hoch, die Löhne niedrig und
die Rohstoffe billig.«4
Empfänger des exportierten Kapitals waren nach Einführung des Euro vor allem
die west- und südeuropäischen Länder. Staaten, Unternehmen und Privatleute
profitierten dort von günstigen Kreditbedingungen, denn die internationale
Finanzindustrie vergab das in der Regel ihnen nicht gehörende Geld äußerst
freigiebig, versprachen diese Länder doch hohe Wachstumsraten und damit
hervorragende Profitbedingungen. Zudem gingen die Geber stets davon aus, dass
in Krisenzeiten für die Empfänger in letzter Instanz die gesamte Euro-Zone mit
ihren starken Ländern Deutschland und Frankreich haften werde. Und so häuften
die Peripheriestaaten enorme Schulden an. Allein der spanische Staat, seine
Unternehmen und Bürger hatten 2011 Außenschulden in Höhe von 983 Milliarden
Euro, gefolgt von Italien mit 325 Milliarden, Portugal mit 176, Griechenland
mit 171, Irland mit 153 und Zypern mit 14 Milliarden Euro. Mit diesen Schulden
wurden enorme Immobilienblasen aufgepumpt, vor allem in Irland und Spanien.
Am Rande des Zusammenbruchs
Doch auf einen Boom, und dauert er noch so lange und bringt
er noch so hohe Gewinne, folgt im Kapitalismus unweigerlich die Krise. Und
diese Krise ist regelmäßig mit Pleiten, Bankenzusammenbrüchen, mit
Arbeitslosigkeit und sozialem Elend verbunden. Es werden dabei gigantische
Kapitalwerte vernichtet, um dem verbleibenden Kapital einen Mindestgewinn zu
sichern. So geschah es auch in der immer noch andauernden Krise. Die in Irland
und Spanien gebauten Häuser und Wohnungen wollte nach dem abrupten Ende des
Booms niemand mehr haben. Kaum fertig, wurden sie dem Verfall anheim gegeben.
»Durch Insolvenzen von Banken, Unternehmen und Privatpersonen in den
Kapitalimportländern ist in der Krise ab 2007 für die deutschen
Kapitalexporteure bereits ein enormer Verlust entstanden. Auf rund 600
Milliarden Euro hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die in den
Jahren 2006 bis 2012 erlittenen Vermögensverluste im Ausland geschätzt. Es ist
die Differenz zwischen den Überschüssen in der Leistungsbilanz und den
Veränderungen in der Bilanz der Finanzbeziehungen mit dem Ausland
(Kapitalbilanz). Dass die deutschen Geldvermögen in den vergangenen Jahren
gestiegen sind und nunmehr rund fünf Billionen Euro erreichen, erklärt sich vor
allem mit der Bildung immer neuer Ersparnisse und nicht mit neuen Renditen auf
früher gebildete Ersparnisse«, stellt die FAZ vom 26. September 2013 fest.
In der Krise gerieten selbst ganze Staaten an den Rand des Zusammenbruchs. Ihre
Insolvenz konnte nur mit Hilfe von Rettungspaketen, der Einrichtung der
Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und schließlich mit dem
Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) abgewendet werden. Griechenland, Irland,
Portugal und Zypern wurden von den anderen Euro-Ländern gestützt, da die
internationalen Kapitalmärkte Kredite nur noch zu unzumutbaren Zinsen anboten.
Die »Hilfe« erfolgte aber nicht etwa aus Solidarität mit den von der Krise
betroffenen Menschen. Ziel ist es, die Staaten liquide zu halten, damit sie die
Zinsen auf das importierte Kapital weiter bedienen können. Verhindert werden
soll zudem, dass einzelne Länder aus der Euro-Zone ausscheiden, denn dann würde
durch die sofort notwendig werdende Abwertung der neu geschaffenen nationalen
Währungen ein Großteil des dorthin exportierten Kapitals mit einem Schlag
teilentwertet werden.
Die Kosten für den Erhalt der Euro-Zone sind allerdings hoch. Allein der ESM
besitzt ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro. Auf Deutschland entfallen
dabei 190 Milliarden. Es ist zugleich verpflichtet, im Falle des Ausfalls
anderer Euro-Länder deren Anteile in Höhe von bis zu 113 Milliarden Euro zu
übernehmen. Niemand kann heute sagen, ob die an die Defizitländer ausgereichten
Kredite jemals in voller Höhe zurückgezahlt werden. Vor allem bei Griechenland
ist dies mehr als fraglich.
Um den Untergang der Euro-Zone zu verhindern, kam es darüber hinaus zu einem
vollständigen Kurswechsel in der Politik der Europäischen Zentralbank (EZB).
Angesichts schnell steigender Risikoaufschläge für die Staatsanleihen von
Italien und Spanien erklärte ihr Präsident Mario Draghi im Juli 2012, dass er
»alles Notwendige veranlassen« werde, um einen Zusammenbruch des Euro zu
verhindern. Wenig später kündigte er an, dass die EZB zu »unbegrenzten
Schritten« auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen bereit sei, was hieß, dass
sie fortan solche Anleihen unbegrenzt zur Stützung der Zahlungsfähigkeit vor
allem von Italien und Spanien aufkaufen werde. Bundesbankpräsident Jens
Weidmann war der einzige, der im EZB-Rat dagegen stimmte. Diese Isolierung der
deutschen Position innerhalb der Zentralbank war aber keine Überraschung.
Bereits ihr Chefvolkswirt Jürgen Stark hatte sich gegen ein solches
Aufkaufprogramm ausgesprochen und war damit gescheitert. Ihm blieb nur der
Rücktritt.
Absenkung des Leitzinses
Mit der schrittweise erfolgten Absenkung des Euro-Leitzinses
in Richtung Null ist die EZB inzwischen noch weiter gegangen. Der italienische
Ökonom Vladimiro Giacché äußerste sich dazu treffend: »Die unnachgiebige Linie
der Bundesbank, welche die Krisenstaaten der Euro-Zone um jeden Preis den
Märkten überließ, wurde aufgeweicht.«5 Von dem einstigen deutschen Wunschbild
einer politisch neutralen und damit nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank
konstruierten Europäischen Zentralbank scheint nichts mehr übrig zu bleiben.
Noch 2008, am 6. Dezember in der FAZ, konnte das ehemalige
EZB-Direktoriumsmitglied Otmar Issing erklären: »Der Euro (ist) das Produkt des
im Maastricht-Vertrag bekundeten Willens nach unpolitischem Geld – Geld, das
dem Einfluss von Regierungen, parteipolitischen Interessen und wahlpolitischen
Überlegungen entzogen ist.« Das gilt heute nicht mehr. Die deutsche Politik hat
den Kurswechsel der EZB nach kurzem Zögern nachvollzogen. Jens Weidmann wurde
von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble demonstrativ im Regen
stehengelassen. Und in den deutschen Medien sprang ihm kaum jemand bei.
Sind die Belastungen durch die den Defizitländern gegebenen Kredite im
Alltagsleben der Deutschen bisher noch nicht direkt spürbar, so ist dies bei
der Absenkung des EZB-Leitzins auf nahe Null schon anders. Unzählige
Sparguthaben werden dadurch entwertet, liegen doch die Zinsen inzwischen
regelmäßig unterhalb der Inflationsrate. Die Versprechungen der
Lebensversicherer können nicht mehr eingehalten werden, mit der Folge, dass
ersparte Vermögen kaum noch ihre Funktion der Absicherung des Lebensstandards
im Alter erfüllen können. Hans-Werner Sinn sieht daher auch in der EZB den
Schuldigen dafür, dass die deutsche Finanzindustrie nicht länger mehr hohe
Gewinne auf Kosten der Peripherieländer erzielen kann: »Die Unterbietung des
Kapitalmarktes mit der Druckerpresse ist heute der Hauptgrund dafür, dass die
deutschen Banken und Versicherer keine risikoadäquaten Zinsen mehr verdienen
können und die Versicherer sogar gezwungen sind, ihre Zinsgarantien zu
widerrufen« (FAZ vom 8.11.2013). Vielen gutsituierten Deutschen ist der Euro
deshalb suspekt geworden. Politischer Ausdruck dieser veränderten Stimmung ist
die Etablierung der Partei »Alternative für Deutschland«. Solange sich die
Opfer der Euro-Krise nur unter der Arbeiterklasse Griechenlands, Irlands,
Portugals und Zyperns fanden, hatten diese Kräfte mit der Aufrechterhaltung des
Euro-Systems kein Problem. Jetzt registrieren sie überrascht, dass die
Euro-Krise ihnen näher kommt und der eigene Lebensstandard in Gefahr gerät.
Doch in der deutschen Politik und Öffentlichkeit beherrschen die Verteidiger
des neuen EZB- Kurses unter Führung der Monopolbourgeoisien der
Exportindustrien das Feld. Sie dominieren in CDU/CSU, SPD und Grünen.
Verteidigt wird der Kurs zudem von den Gewerkschaften und hier vor allem von
der IG Metall, da viele Arbeitsplätze in der metallverarbeitenden Industrie von
den Exportmärkten abhängen. Und für diese Industrien ist der Euro weiterhin
unentbehrlich. Zwar kann die gemeinsame Währung nicht mehr das einheimische
Sparvermögen garantieren und ist auch die Sicherung des exportierten Kapitals
nur noch mit Hilfe kostspieliger und zudem risikoreicher Rettungsschirme
möglich, doch erfüllt der Euro weiterhin die Funktion, die Exportwirtschaft vor
Wechselkursrisiken im Euro-Raum abzuschirmen. Die Exportindustrien, und unter
ihnen vor allem die Automobilhersteller, besitzen dadurch weiter
Planungssicherheit.
Im Interesse der Monopole
Bei den zur Eindämmung der Euro-Krise ergriffenen Maßnahmen
handelt es sich um die Etablierung eines neuen Regimes supranationaler
staatsmonopolistischer Regulierung. Vorbei sind die Zeiten, in denen das
deutsche Bundesbankmodell eines weitgehend freien Spiels der Marktkräfte
vorherrschte und man es dem Finanzkapital überließ zu definieren, was unter
»Stabilitätskultur« zu verstehen ist. Die EZB ist nicht länger mehr – wie von
Issing verlangt – Garant »unpolitischen« Geldes, das dem »Einfluss der
Regierungen entzogen« ist. Unabweisbar ist, dass die Fortführung einer derart
passiven Politik die Zerstörung der Euro-Zone zur Folge gehabt hätte, wäre doch
die Zahlungsunfähigkeit Italiens oder Spaniens in diesem Fall nur noch eine
Frage der Zeit gewesen.
Diese europäischen Regulierungen dürfen aber nicht als klassenneutrales Handeln
missverstanden werden. Ganz im Gegenteil! Bei ihnen geht es vielmehr um die
vollständige Indienstnahme der europäischen quasistaatlichen Regulierungsebenen
zur Sicherung der Reproduktionsbedingungen von Monopolunternehmen und
Finanzkapital. Dabei kommt es zu rigorosen Enteignungen großen Stils. Waren die
Opfer solcher Enteignungen bisher vornehmlich in den europäischen Peripheriestaaten
und hier vor allem unter den Angehörigen der Arbeiterklassen zu finden, so
werden inzwischen auch die Bürger Kerneuropas in ihrer Rolle als Sparer und
Steuerzahler im Interesse des Finanzkapitals zur Kasse gebeten. Dieses neue
Gefühl der Unsicherheit unter bisher Verschonten führt zur Infragestellung der
gesamten wirtschaftspolitischen Ausrichtung. So resümiert Sinn in der Zeit vom
14. November 2013: »Es wäre besser gewesen, mehr in Deutschland zu investieren,
um die heimische Wirtschaft produktiver zu machen. Die Exportwirtschaft hat
gute Geschäfte gemacht, aber weite Teile der Bevölkerung haben davon nicht
profitiert.« Den Verteidigern des Euro-Regimes erwachsen damit neue und
gefährliche Gegner – da deren Kritik direkt aus dem imperialistischen Zentrum
kommt.
Anmerkungen
1 Als »Sixpack« werden sechs europäische Gesetzgebungsmaßnahmen verstanden, die
im Dezember 2011 in Kraft traten. Mit ihnen wurde der Stabilitäts- und
Wachstumspakt verschärft und das Verfahren bei seiner Anwendung gestrafft. Ein
Element des »Sixpacks« ist auch ein neues gesamtwirtschaftliches
Überwachungsverfahren.
2 Mit dem »Twopack« wurden die im »Sixpack« vorgesehenen Überwachungsmaßnahmen
konkretisiert und damit anwendbar gemacht. Im Zentrum steht dabei das sogenannte
Europäische Semester, mit dem eine wirtschaftspolitischen Koordinierung und
strengere Haushaltsüberwachung im Euro-Raum sichergestellt werden soll. Das
»Twopack« trat im Mai 2013 in Kraft.
3 Hans-Werner Sinn: Die Target-Falle. Hanser Verlag, München 2012, S. 56 und 57
f.
4 Wladimir I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus.
Lenin-Werke, Band 22, S. 245
5 Vladimiro Giacché: Titanic Europa. Frankfurt am Main 2013, S. 137
Mein Newsletter
Abonnieren Sie den Newsletter von Andreas Wehr. Der Newsletter informiert unregelmäßig (10 bis 12 mal im Jahr) über Publikationen, Meinungen und Bucherscheinungen und wird über den Newsletter-Anbieter Rapidmail versendet.