Gretchen Binus - ein Nachruf

Am 10. April 2023 starb die Wirtschaftswissenschaftlerin und Wirtschaftshistorikerin Gretchen Binus. Sie gehörte zu jenen Wissenschaftlern der DDR, die auch nach dem Untergang ihres Landes nicht daran dachten, ihre Einsichten aufzugeben und ihre Überzeugungen zu wechseln. Warum auch, schließlich gehörte Binus zu jener Gruppe von Wissenschaftlern, die sich über Jahrzehnte mit dem Zusammenhang von Monopolen und Staat beschäftigt und an der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus (SMK-Theorie) gearbeitet hatten – neben ihr gehörten Peter Hess, Kurt Zieschang, Horst Heiniger und Rudi Gündel dazu. Und gerade die um die DDR erweiterte Bundesrepublik bot hervorragendes Anschauungsmaterial dafür, was unter staatsmonopolistischer Regulierung zu verstehen ist, etwa im Agieren der Treuhandanstalt, die als staatliche Einrichtung die Interessen der bundesdeutschen Monopole bei der Privatisierung des DDR-Volksvermögens wahrnahm. Nie war die Stamokap-Theorie so anschaulich und so aktuell wie in jenen Jahren!

In den siebziger Jahren hatte die SMK-Theorie ihre größte Verbreitung erreicht. Ausarbeitungen zu ihr entstanden in der DDR, in Frankreich und in der Sowjetunion. In der Bundesrepublik war es vor allem das Institut für marxistische Studien und Forschungen (IMSF), das Arbeiten zu ihrer Weiterentwicklung vorlegte. In diesen Jahren entstand auch bei den Jungsozialisten in der SPD eine SMK-Fraktion, die sich in den „Herforder Thesen“ zur Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus bekannte.

Gretchen Binus hielt bis zuletzt daran fest, dass die Entwicklung der sozialökonomischen Grundlagen des Kapitalismus und seines Funktionsmechanismus am besten mit der SMK-Theorie verstanden werden können. In dem 2014 gemeinsam mit Beate Landefeld und dem Autor dieser Zeilen im PapyRossa Verlag erschienenen Buch „Staatsmonopolistischer Kapitalismus“ schrieb sie: Die SMK-Theorie „erfasst mit dem Dualismus von Staat und Monopolen zwar nicht die gesamte Struktur des sich entwickelnden Kapitalismus, konzentriert sich aber nicht nur auf die ökonomische Tätigkeit des Staates. Sie nimmt weitreichender die grundlegenden Veränderungen im Wechselverhältnis von ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Prozessen ins Visier.“ Was die Bewahrung und Weiterentwicklung der SMK-Theorie anging, so blieb Gretchen Binus hingegen skeptisch. Nach ihrer Auffassung fehlte „vor allem das Potenzial an marxistischen Wissenschaftlern, die solch eine wissenschaftliche Tradition des vergangenen Jahrhunderts wie die Theorie des SMK fortsetzen können.“

In der Partei Die Linke, dessen Ältestenrat sie angehörte, gab und gibt es jedenfalls keine Bereitschaft sich des Erbes der SMK-Theorie anzunehmen. Dort kennt man weder Monopole noch einen Staat, der diesen verpflichtet ist. Der Kapitalismus wird vor allem aus moralischen Gründen kritisiert und der Staat als letztlich neutral angesehen. Die in der Linkspartei vertretene Transformationstheorie lässt aber – wie Binus schrieb – „die aus der sozialökonomischen Grundstruktur als auch aus dem Verflechtungsmechanismus von Wirtschaft und Staat sich ergebenden Kräfte- und Machtverhältnisse für einen gesellschaftlichen Wandel außer Acht.“

Bis zu ihrer Abwicklung 1990 war Gretchen Binus am Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) und zwischenzeitlich an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tätig. In den Jahren danach hielt sie zahlreiche Vorträge und schrieb Artikel zur Situation der Weltwirtschaft, zur Krise und über den aktuellen Imperialismus sowie Rezensionen und Nachrufe. Allein in den Marxistischen Blättern waren es zwischen 1992 und 2017 24 Beiträge. Hinzu kamen Artikel in der Zeitschrift für marxistische Erneuerung – Z. sowie Zeitungsartikel. Dem Herausgeberkreis der Marxistischen Blätter gehörte sie von 1992 bis 2017 an. Gretchen Binus war auch eine gern gesehene Referentin – so etwa im November 2014 im Marx-Engels-Zentrum Berlin zum Thema „Was ist der staatsmonopolistische Kapitalismus?“ Unvergessen bleibt ihre Antwort auf den Einwurf eines Besuchers dort, dass das alles von ihr Vorgetragene viel zu theoretisch sei: „So ist nun einmal Wissenschaft“, sagte sie lakonisch. Recht hatte sie.

In den letzten Jahren zog sie sich aus der Vortragstätigkeit zurück und schrieb auch immer seltener. Die Mühsal des Alters machte ihr zu schaffen und mit der ihr verbliebenen Kraft kümmerte sie sich liebevoll bis zuletzt um ihren schwer erkrankten Mann.               

                              

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