Grüne und CDU/CSU liefern sich gegenwärtig ein Wettrennen wer der größte Scharfmacher gegenüber Russland ist
Interview mit der französischen Monatszeitschrift Ruptures, Mai 2022, No. 116
Ruptures: Eine neue Welle "harter" Sanktionen gegen Russland, ein schrittweises Embargo für Gas und Erdöl-Importe und vor allem die Lieferung schwerer und offensiver Waffen an die Ukraine: Handelt es sich tatsächlich um eine radikale Wende in der deutschen Außenpolitik? Wenn ja, was sind das Ausmaß und die Ursachen?
A.W.: Ich würde nicht von einer radikalen Kehrtwende sprechen. Die Bundesregierung reagiert vielmehr flexibel auf den Druck einiger EU-Staaten - etwa von Polen und den Ländern des Baltikums, sowie der USA, Großbritanniens und natürlich der Ukraine - mehr für die ukrainische Seite zu tun, was bedeutet schwere Waffen zu liefern sowie einem Boykott russischer Energielieferungen zuzustimmen. Die Bundesregierung bewegt sich dabei mal in größeren und mal in kleineren Schritten. Sie versucht dabei jedoch stets, fundamentale deutsche Interessen nicht zu gefährden. So kann sie unmöglich einem Stopp von Gaslieferungen zustimmen, dafür ist die Abhängigkeit der deutschen Industrie vom billigen russischen Gas einfach viel zu groß. Flexibler ist man bei Öllieferungen. Hier stimmte die Bundesregierung einem Stopp zum Jahresende zu, wobei sie jedoch kein Konzept dafür hat, wie sie die Abhängigkeit großer Teile Ostdeutschlands und Berlins vom russischen Öl beenden kann. Womöglich wird man daher eine deutlich längere Zeit für den Ausstieg benötigen. Bei der Lieferung schwerer Waffen ist es vergleichbar: Man beugt sich dem Druck, tut aber nur so viel wie gerade notwendig um nicht als Zögerer dazustehen. Von der langen Wunschliste der Ukrainer für deutsche Waffen hat man bisher nur wenige Systeme geliefert. Und von dem was man geben will – etwa die aus der Bundeswehr ausgemusterten Gepardpanzer - ist noch lange nicht klar, wann sie tatsächlich in der Ukraine eintreffen werden.
Ruptures: Welche Kräfte haben den Kanzler zu dieser Entwicklung gedrängt? Innerhalb der SPD, innerhalb der Koalition, in der Opposition - oder ein bisschen von allem?
A.W.: Grüne und CDU/CSU liefern sich gegenwärtig ein Wettrennen wer der größte Scharfmacher gegenüber Russland ist. Und auch die FDP will nicht im Abseits stehen. Unterstützt werden diese Kräfte von nahezu allen wichtigen Medien, die in Deutschland traditionell pro-atlantisch, das heißt pro-USA eingestellt sind. Hinzu kommen unzählige NGOs die für die Ukraine arbeiten. Die SPD beugt sich diesem Druck. Ihre Politiker ziehen den Kopf ein und verleugnen den früheren Bundeskanzler Gerhard Schöder wegen seiner Tätigkeit bei Gazprom. Sie entschuldigen sich permanent in peinlicher Art für ihre frühere Politik der Zusammenarbeit mit Russland. Das aber wird die SPD nicht retten. Umso mehr sie sich für ihre Vergangenheit geißelt, umso mehr wird die Partei unter Druck gesetzt, ihrer früheren von Willy Brandt begründeten Politik der Entspannung und des Ausgleichs mit Russland endgültig abzuschwören.
Ruptures: Wie analysierst Du die Positionierung der anderen politischen Kräfte: Die Linke, AFD?
A.W.: „Waffen lösen keine Probleme“, heißt es heute oft bei der Linken. Dort, wo sie aber Regierungsverantwortung trägt, unterscheidet sie sich nicht von den anderen Parteien. So tritt etwa Bodo Ramelow, der von der Linken gestellte Ministerpräsident des Bundeslandes Thüringen, für die Lieferung schwerer Waffen ein. Auch fordert er die schnelle Aufnahme der Ukraine in die EU, damit sie den Schutz der in den europäischen Verträgen verankerten Beistandsverpflichtung genießen kann. Auch bei der Einschätzung Russlands unterscheidet sich die Linke nicht vom Mainstream. Man sieht in der Russischen Föderation ein imperialistisches Land, das zu alter sowjetischer Größe zurückkehren will. Die Linke klärt weder über die aggressive Rolle der NATO, noch verweist sie auf die globale Dimension des Konflikts, denn neben der Schwächung Russlands ist ja auch China das Ziel. Bei dieser Linken erleben wir gegenwärtig den friedenspolitischen Bankrott einer Partei, in deren Grundsatzprogramm noch immer die Forderung nach Auflösung der NATO steht.
Anders die AfD: Sie stellt heraus, dass die einseitige Parteinahme Deutschlands den wirtschaftlichen Interessen des Landes schadet. Die Lieferung schwerer Waffen lehnt sie ab, weil dadurch Deutschland zur Kriegspartei wird. Auch scheut sie sich nicht, weiterhin Sympathien für Russland zu zeigen. Das kommt vor allem in Ostdeutschland, in der ehemaligen DDR, gut an. So gewinnt ausgerechnet eine weit rechtsstehende Partei, die beständig die Verantwortung Deutschlands für den zweiten Weltkrieg relativiert, Anhang unter den Gegnern einer deutschen Beteiligung am Ukrainekrieg.
Ruptures: Wie ist der Streit mit Steinmeier zu interpretieren?
A.W.: Die Führung der Ukraine versucht die Bundesregierung unter Druck zu setzen, indem sie immer offener und immer aggressiver Forderungen an diese stellt: Deutschland soll umgehend den Bezug von Gas und Öl aus Russland stoppen und Kiew alle gewünschten Waffen liefern. Sie allein will auch entscheiden, wer als Freund der Ukraine gelten darf und wer nicht. Sie wird dabei von rechten, entschieden proamerikanischen Medien in Deutschland unterstützt. Die Weigerung, Steinmeier in Kiew zu empfangen, war ein beispielloser Affront. In der deutschen Öffentlichkeit kam das aber gar nicht gut an. Dies ist mit Sicherheit auch ein Grund dafür, weshalb inzwischen 40 Prozent der deutschen Bevölkerung gegen die Lieferung schwerer Waffen sind.
Ruptures: Welche Rolle spielt die Europäische Union in dieser Entwicklung?
Die EU spielt eine ausgesprochen negative Rolle. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits kurz nach Ausbruch der Kämpfe das Ziel ausgegeben, die russische Ökonomie durch Sanktionen nachhaltig zu schwächen. Wörtlich sagte sie: „Wir höhlen die Fundamente der russischen Wirtschaft nach und nach aus. « Das hört sich fast wie eine Kriegserklärung an. Die EU-Kommission übt massiven Druck aus, um einem schnelleren Ausstieg der Mitgliedsländer aus den russischen Öl- und Gaslieferungen zu erreichen. Sie orientiert sich dabei ganz an den USA und deren willfähigsten Verbündeten in der EU, an Polen, Estland, Lettland und Litauen. Andere Länder hingegen, die für sich schwere Folgen der Sanktionspolitik befürchten wie Italien, Bulgarien, Österreich, Ungarn, die Slowakei, und Deutschland und deshalb für längere Übergangsfristen beim Ausstieg eintreten, werden an den Rand gedrängt.
Ruptures: Es scheint, dass die Wende auf wachsenden Widerstand in der Bevölkerung stößt. Wie groß ist diese Zurückhaltung derzeit und wie könnte sie sich entwickeln? Was lässt sich über den offenen Brief an Bundeskanzler Scholz, dem Aufruf einiger Intellektueller zu einem sofortigen Waffenstillstand, sagen? Wie groß ist dessen Echo und hat er Gegenreaktionen hervorgerufen?
A.W.: Der Brief ist ein Zeichen der Hoffnung. Er wurde von bekannten Intellektuellen, Künstlern, Journalisten und Wissenschaftlern formuliert. Mehr als 200.000 Menschen haben ihn bisher unterzeichnet. In dem Brief wird die Gefahr beschworen, dass „die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen Deutschland zur Kriegspartei machen könnte. Ein russischer Gegenschlag würde daher den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen.“ Man wendet sich auch an die ukrainische Führung und mahnt sie zu berücksichtigen, dass der „berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor“ ab einem bestimmten Punkt zu „einem unerträglichen Missverhältnis“ führt, da die Kriegsschäden die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen zerstören und zu unermesslichem Leid führen. Dahinter steht die Einschätzung, dass das offiziell ausgegebene Ziel eines Sieges der Ukraine über Russland absolut unrealistisch ist und daher früher oder später ein Waffenstillstand vereinbart werden muss, bei dem die ukrainische Führung Zugeständnisse zu machen hat. Bundeskanzler Scholz soll daher seinen Einfluss in Kiew geltend machen, damit das Regime dort einlenkt. Der Brief ist ein Appell an die Vernunft.
Den Autoren ist natürlich sofort vorgeworfen worden, hier würden in Sicherheit lebende deutsche Wohlstandsbürger die um ihr Leben und um ihre Freiheit kämpfenden Ukrainer zur Kapitulation auffordern. Und so gibt es inzwischen einen weiteren Brief an Scholz, in dem Kiew die uneingeschränkte Solidarität bekundet wird und die Lieferung weiterer schwerer Waffen gefordert wird. Ich bin aber überzeugt davon, dass der weitere Kriegsverlauf zeigen wird, dass nur ein Waffenstillstand mit Zugeständnissen beider Seiten der Weg zur Lösung des Konflikts sein kann.
Hier die leicht gekürzte französische Fassung des Interviews :
Ruptures – Après une phase d’hésitation apparente, Berlin semble désormais engagé dans un soutien militaire massif à l'Ukraine. S'agit-il d'un tournant radical dans la politique étrangère allemande ?
AW – Je ne parlerais pas d'un revirement radical. Le gouvernement fédéral réagit plutôt de manière flexible à la pression exercée par certains pays de l'UE – tels la Pologne et les pays baltes – mais aussi par les Etats-Unis et le Royaume-Uni, pour un engagement renforcé en faveur de la partie ukrainienne. Il faut souligner à cet égard le rôle particulièrement agressif de Bruxelles. La présidente de la Commission avait même déclaré vouloir « saper progressivement les fondements de l’économie russe », ce qui peut s’entendre comme une déclaration de guerre. Dans ce contexte, le gouvernement allemand avance tantôt à grands pas, tantôt à petits pas, notamment en ce qui concerne la livraison d’armes lourdes et le principe d’un boycott des importations d'hydrocarbures russes. Mais il essaie toujours de ne pas mettre en danger les intérêts fondamentaux de l'Allemagne.
Ruptures – Ce qui explique des choix différenciés…
AW – Oui, il est impossible d'approuver un arrêt brutal des livraisons de gaz car la dépendance de l'industrie allemande vis-à-vis du gaz russe bon marché est trop importante. Berlin est plus flexible en ce qui concerne les livraisons de pétrole. Dans ce cas, le gouvernement a accepté de stopper l'approvisionnement à la fin de l'année. Cependant, il n'a pas de plan pour se défaire de la dépendance d'une grande partie de l'Allemagne orientale vis-à-vis de l’or noir russe. Il est donc possible qu'un délai beaucoup plus long soit finalement nécessaire pour mettre fin aux livraisons.
Ruptures – Et en matière de livraisons d’armes lourdes ?
AW – La situation est comparable : on cède à la pression, mais on fait juste ce qui est nécessaire pour ne pas être accusé de faiblesse. Sur la longue liste de exigences des Ukrainiens pour des armes allemandes, seuls quelques systèmes ont été livrés jusqu'à présent. Et parmi ce que l'on veut donner – par exemple les chars Guépard qui n’ont plus cours dans l'armée allemande – on ne sait pas encore quand ils arriveront effectivement en Ukraine.
Ruptures – Quelles sont les forces qui poussent le chancelier à accentuer une attitude belliciste ?
AW – Les Verts, au sein de la coalition tripartite actuelle, et les démocrates-chrétiens (CDU/CSU), dans l’opposition, se livrent à une surenchère de virulence contre la Russie. Et les Libéraux (FDP, troisième force de la majorité) ne veulent pas être en reste. Ces forces sont soutenues par presque tous les grands médias qui, en Allemagne, sont traditionnellement atlantistes, c'est-à-dire pro-américains. A cela s'ajoutent d'innombrables ONG qui travaillent pour Kiev.
Ruptures – Les sociaux-démocrates (SPD, dont est issu le chancelier Olaf Scholz) sont-ils plus en retrait ?
AW – Les dirigeants cèdent à ces pressions conjuguées. Tout se passe comme s’ils courbaient l’échine : ils renient par exemple leur ancien chancelier, Gerhard Schröder, en raison de ses liens avec Gazprom et ses hautes fonctions au sein du géant russe. Ils s'excusent en permanence pour leur ancienne politique de coopération avec la Russie. Mais cela ne sauvera pas le SPD. Plus ce dernier se flagelle pour son passé, plus il est mis sous pression pour renoncer définitivement à son ancienne politique de détente et d'équilibre avec la Russie, fondée par Willy Brandt dans les années 1970.
Ruptures – Et qu’en est-il des autres forces politiques ?
AW – Du côté de Die Linke (souvent classée « gauche radicale »), on répète formellement que « les armes ne résolvent pas les problèmes ». Mais là où ce parti assume des responsabilités gouvernementales, il ne se distingue pas des autres forces politiques. Ainsi, Bodo Ramelow, le ministre-président du Land de Thuringe qui est issu de ses rangs, s’est déclaré favorable à la livraison d'armes lourdes. Ce dernier demande également l'adhésion rapide de l'Ukraine à l'UE afin que ce pays soit couvert, selon lui, par l’engagement d’assistance mutuelle inscrit dans les traités européens. Die Linke ne se distingue pas non plus du courant dominant quant à son appréciation sur la Russie. Celle-ci est dépeinte comme un pays impérialiste qui veut revenir à l'ancienne grandeur soviétique, mais pas un mot sur le rôle agressif de l'OTAN. On assiste donc à la faillite d'un parti en matière de politique de paix, un parti dont le programme contient pourtant toujours l'exigence de dissolution de l'OTAN…
Ruptures – Il en va différemment en ce qui concerne l'AfD, un mouvement généralement classé à l’extrême droite ou « populiste »…
AW – En effet : l’AfD souligne que l’engagement unilatéral de Berlin nuit aux intérêts économiques du pays. Ce parti s'oppose à la livraison d'armes lourdes, avec notamment un argument : cela conduit à faire de l'Allemagne un Etat belligérant. Ce parti n'hésite pas non plus à continuer à montrer de la sympathie pour la Russie. Cela passe particulièrement bien en Allemagne de l'Est, dans l'ancienne RDA. Ainsi, c'est un parti très à droite qui gagne en popularité parmi les opposants à une participation allemande à la guerre en Ukraine…
Ruptures – Le président fédéral, Frank-Walter Steinmeier, avait prévu de se rendre à Kiev, mais les autorités du pays ont d’abord refusé cette visite, au motif que ce social-démocrate a longtemps mis en œuvre (notamment comme chef de la diplomatie) une ligne de coopération avec la Russie…
AW – Le pouvoir ukrainien fait pression sur Berlin au travers d’exigences de plus en plus ouvertes et comminatoires. Dans ce contexte, le refus de recevoir le président Steinmeier à Kiev a constitué un affront sans précédent. Et cela n'a pas du tout été bien perçu par l'opinion publique. C'est certainement l'une des raisons pour lesquelles – selon des sondages – 40% de la population serait désormais opposée à la livraison d'armes lourdes.
Ruptures – A ce propos, une trentaine d’intellectuels ont pris l’initiative d’une « lettre ouverte au chancelier Scholz » exigeant notamment que tout soit mis en œuvre pour un cessez-le-feu sans délai. Quel en a été l’écho ?
AW – Ce texte est un motif d'espoir. Il a été endossé par des intellectuels, des artistes, des journalistes et des scientifiques connus. Plus de 200 000 personnes l'ont signé à ce jour. Il pointe le danger que « la livraison de grandes quantités d'armes lourdes (fasse) de l'Allemagne un belligérant. Une riposte russe déclencherait le cas d'assistance selon le traité de l'OTAN et donc le danger immédiat d'une guerre mondiale ».
Ruptures – Les signataires estiment que l'objectif officiellement affiché d'une victoire de l'Ukraine sur la Russie est irréaliste…
AW – Exactement. Ils affirment qu'il faudra donc tôt ou tard convenir d'un cessez-le-feu dans lequel les dirigeants ukrainiens devront faire des concessions. Le chancelier Scholz doit donc, selon eux, user de son influence sur Kiev en vue d’un compromis. La lettre ouverte se veut un appel à la raison.
Ruptures – Un tel texte n’est pas resté sans réaction ?
AW – Evidemment, les auteurs se sont vu immédiatement reprocher d’être des Allemands vivant en sécurité et dans l'opulence qui demandent aux Ukrainiens luttant pour leur vie et leur liberté, de capituler. C'est ainsi qu'une contre-lettre ouverte a été adressée à Olaf Scholz, dans laquelle sont exprimées une solidarité sans faille à Kiev ainsi que l’exigence de sanctions plus lourdes contre Moscou et de nouvelles livraisons d'armes offensives. Je suis pour ma part convaincu que seul un cessez-le-feu avec des concessions des deux côtés peut être la voie vers la résolution du conflit.
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