Forcierte Entmachtung

Von der Öffentlichkeit kaum beachtet, fand am 11. Februar 2015 ein EU-Ratstreffen statt, auf dem ein »Bericht zur Vorbereitung der nächsten Schritte für eine bessere Wirtschaftsregierung im Euroraum« vorgestellt wurde. Darin geht es um Vorschläge, wie die Mitgliedstaaten künftig rigoroser der von der Europäischen Kommission verordneten Haushaltsdisziplin unterworfen werden können. Brüssel zieht damit seine Schlussfolgerungen aus der jetzt wieder aufgeflammten Krise um Griechenland und knüpft zugleich an eine Debatte aus dem Jahr 2012 an.

»Verschwende niemals eine gute Krise! Unsere Antwort auf welche Krise auch immer war nicht weniger Europa, sondern mehr Europa«, so 2012 der damalige Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy. Diese bemerkenswerte Aussage war der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) es wert, sie in ihrer Ausgabe vom 23. November 2012 zu dokumentieren. Die »gute Krise« – die andauernde Staatsschulden- bzw. Euro-Krise, die Millionen Menschen hat verarmen lassen und in das soziale Abseits gestellt hat – als Chance nutzen, das wollten und wollen auch andere, etwa Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Juncker ruft unermüdlich nach »mehr Europa«, und Schäuble bringt bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Forderung nach einem europäischen Finanzminister bzw. einem direkt gewählten Präsidenten der EU vor. Da aber die Zeit dafür noch nicht reif ist, sollten jetzt zumindest die Kompetenzen des EU-Währungskommissars ausgeweitet werden. Nach Schäuble solle er »mit dem Recht ausgestattet werden, nationale Haushalte für ungültig zu erklären«. (FAZ vom 17.12.2012) Auch der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, fordert, »dem jeweiligen EU-Währungskommissar direkte Durchgriffsrechte auf die Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten einzuräumen.« (FAZ vom 17.12.2012). Besonders originelle Vorschläge für ein »Mehr an Europa« steuert regelmäßig der Präsident des Europäischen Parlaments, der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, bei. So verlangt er etwa die Umwandlung der Kommission in eine »europäische Regierung«. 1 Und wie Schäuble und Draghi spricht auch er sich für eine Aufwertung des Währungskommissars aus: »Wir brauchen jemanden, der die Haushaltsdisziplin durchsetzen kann«. (FAZ vom 17.12.2012).

All diese Vorschläge sind als Antworten auf ein nicht mehr zu übersehendes Problem gedacht: Der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) mit dem Euro fehlt es an einem tragfähigen politischen Unterbau. Ihr ist keine politische Union »nachgewachsen«. Ein Schritt in diese Richtung hätte die Europäische Verfassung sein können, doch sie scheiterte 2005 in Frankreich und in den Niederlanden bei Volksabstimmungen. Und so werden heute Stimmen laut, die ein Ende des Euro für wahrscheinlich halten, da nun einmal eine Währung ohne Staat auf Dauer nicht existieren kann. Die Wirtschafts- und Währungsunion werde eines Tages an der politischen Uneinigkeit ihrer Mitglieder zerbrechen. Ihr ergehe es wie anderen Währungszusammenschlüssen, etwa der 1872 gegründeten Skandinavischen Münzunion zwischen Dänemark und Schweden, zu der später auch Norwegen gehörte. Aufgrund der unterschiedlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik der drei Länder wurde sie 1924 aufgelöst.

Ein »dummer Pakt«

Nun ist es nicht so, dass die Chance der »guten Krise« in den vergangenen Jahren nicht genutzt wurde. In Reaktion auf die Euro-Krise, erst in Griechenland und dann in Irland, Portugal und Zypern, war man gezwungen, kurzfristig neue Regelungen und Instrumente zu schaffen, sollte verhindert werden, dass der Euro-Raum implodiert. Mit der Einrichtung zunächst der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) ab Juni 2010 und dann des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ab September 2012 wurden dafür neue Institutionen außerhalb des bestehenden europäischen Rechtsrahmens geschaffen. Der ESM kann dabei als Vorstufe eines künftigen europäischen Währungsfonds angesehen werden. Die Wirtschafts- und Währungsunion mutierte damit zugleich zu einer Transferunion, etwas, was insbesondere die deutschen Architekten des Euro in der Bundesbank nie wollten.

Das alles waren aber nur Reaktionen zur Eindämmung der Krise. Das Problem, wie solche Entwicklungen künftig überhaupt verhindert werden können, wurde damit nicht gelöst. Dafür fehlen die geeigneten europäischen Mechanismen. In der Kritik steht hier der 1997 beschlossene Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP), sollte er doch bereits die Entstehung übermäßiger Defizite in den Mitgliedsstaaten verhindern, indem er ihnen eine jährliche Neuverschuldungsobergrenze von drei Prozent auferlegt und zudem eine Gesamtverschuldensquote von höchstens 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts festsetzt. Doch gegen diesen Pakt wird regelmäßig verstoßen. Immer wieder überschreiten Haushalte die jährliche Verschuldensobergrenze, und an die zweite Vorgabe, eine Gesamtverschuldungsquote von 60 Prozent, hält sich schon lange kaum noch ein Land. In der Euro-Krise sind die Staatsschulden überall nach oben geschossen. Im Ergebnis sind, mit Ausnahme von Schweden, Estland und Luxemburg, gegen alle EU-Länder Defizitverfahren wegen des Verstoßes gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt eingeleitet worden.

Doch zu Sanktionen führten diese Verfahren bisher in keinem einzigen Fall, da der SWP nun einmal ein »dummer Pakt« ist, wie es der ehemalige EU-Kommissar und italienische Expremier Mario Monti einmal formulierte, erlegt er doch einem Land, welches bereits ein hohes Haushaltsdefizit hat, bei anhaltendem Verstoß gegen ihn am Ende noch eine Finanzstrafe auf. Mit anderen Worten: Einem ohnehin schon an Blutarmut Leidendem soll dazu noch Blut abgezapft werden. Und so klagt Juncker heute, dass »für einige Länder (…) die Missachtung der Regeln eher die Regel als die Ausnahme ist.« (FAZ vom 13.2.2015).

Dennoch ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt keineswegs wirkungslos. Zum einen setzen die von der Kommission angestrengten Defizitverfahren das betroffene Land durch »Naming and shaming« in ein schlechtes Licht gegenüber den Finanzmärkten und verstärken so die Gefahr seiner Herabstufung durch die Ratingagenturen. Zum anderen kann die Kommission mit Hilfe des Defizitverfahrens Druck auf das Land ausüben, seine Politik zu ändern. Längere Fristen zur Korrektur eines Minus im Staatshaushalt werden ihm regelmäßig nur dann von Brüssel gewährt, wenn es sich bereit erklärt, mit der Kommission zu kooperieren und auf deren Forderungen einzugehen. Die Auflagen sind dabei immer konkret und greifen tief in die jeweilige nationale Politik ein. So wurde Frankreich kürzlich zwar eine Fristverlängerung zur Einhaltung der Vorgaben des Paktes bis 2017 gewährt, allerdings nur unter der Bedingung, dass es zügig weitere »Reformen« in den Bereichen Arbeit und Soziales beschließt, was nichts anderes als fortgesetzter Sozialabbau heißt.

Vorabkontrollen

Und so denkt man denn auch nicht daran, den Pakt aufzugeben. Erst Ende 2011 wurde er reformiert und dabei verschärft. Dazu wurden sechs Verordnungen beschlossen, die als »Sixpack« bekannt wurden. Seitdem können Sanktionen gegen seine Verletzung schon sehr viel früher als bisher angedroht und beschlossen werden. Durch die Straffung der Entscheidungsverfahren wurde der Einfluss der Mitgliedsstaaten verringert, die Rechte der Kommission wurden hingegen gestärkt. Es wurde ein Automatismus geschaffen, der es erschwert, ein einmal eingeleitetes Defizitverfahren durch politische Entscheidungen der Mehrheit der EU-Staaten anzuhalten bzw. abzubrechen. Für dessen Einführung hatte sich vor allem das Europäische Parlament ausgesprochen. Bereits bei der Konzipierung des Pakts hatte die deutsche Seite ihn gefordert, war aber am Einspruch Frankreichs gescheitert.

Bereits im März 2011 wurde der Euro-Plus-Pakt als ein Maßnahmenpaket der Euro-Länder sowie Bulgariens, Dänemarks, Litauens, Polens und Rumäniens zur »Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit« der jeweiligen Volkswirtschaften beschlossen. Da ihn aber eine ganze Reihe von EU-Ländern nicht unterzeichnete, hat er für die europäische wirtschaftspolitische Regulierung kaum Bedeutung erlangt.

Die Reform des SWP und der neue Euro-Plus-Pakt genügten aber der Bundesregierung nicht. Mit dem im März 2012 von den Euro-Staaten unterzeichneten »Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion«, genannt Fiskalpakt, wurden deshalb über den SWP hinausgehende Regelungen zum verbindlichen Schuldenabbau mit strengen Obergrenzen für eine weitere Verschuldung festgelegt. Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, nach deutschem Vorbild eine Schuldenbremse in ihre Verfassungen aufzunehmen. Alle EU-Länder außerhalb der Währungsunion forderte man auf, dem Fiskalpakt beizutreten. Bis auf Großbritannien und die Tschechische Republik folgten sie diesem Verlangen.

Da aber Sanktionen zur Bestrafung von begangenen Verfehlungen kaum durchsetzbar sind, tritt bei den Bemühungen zur Herstellung fiskalischer Disziplin mehr und mehr das präventive Element in den Vordergrund. Durch die strenge Überwachung der Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten soll eine aus Brüsseler Sicht als »Fehlentwicklung« bewertete Politik bereits im Stadium der Konzipierung korrigiert werden können. Hierfür wurden im Mai 2013 zwei Verordnungen erlassen, die als »Two Pack« bekannt wurden. Im Rahmen des Europäischen Semesters sind die Euro-Länder verpflichtet, ihre Haushaltspläne für das kommende Jahr jährlich im Oktober an Brüssel zu übermitteln. Auf diese Weise kann die Kommission frühzeitig überprüfen, ob sie den Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts entsprechen. Anschließend gibt sie bekannt, bei welchen Staaten sie eine »vertiefte Prüfung« von deren Wirtschaftspolitik vornehmen will, um mögliche Fehlentwicklungen zu identifizieren. Wenn die Konsultationen zwischen Kommission und Mitgliedsstaat abgeschlossen sind, werden im März die Ergebnisse der Prüfung veröffentlicht. Im Mai gibt die Kommission gegebenenfalls ihre länderspezifischen Empfehlungen bekannt. Sie enthalten konkrete Aufforderungen an die Mitgliedsstaaten zur Änderung ihrer Politik. Eine der Empfehlungen der Kommission an Deutschland war etwa die zur Liberalisierung des Busfernverkehrs.(was hat das mit Haushaltsdisziplin zu tun?)

Diese Vorabkontrollen sind daher von großer Bedeutung: »Die Verordnungen des ›Two Packs‹ stellen einen erheblichen Eingriff in die Haushaltshoheit der nationalen Parlamente dar. Mitgliedsstaaten mit ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten oder solche, die schon finanzielle Unterstützung erhalten (…), werden einer intensiveren Überwachung ihrer finanziellen und wirtschaftlichen Lage unterworfen.« 2 Dennoch kritisieren vor allem neoliberale Politiker und Medien, dass dieses Verfahren »weitgehend wirkungslos« ist, »denn die EU-Staaten folgen den Reformempfehlungen, die sie jedes Jahr von der EU-Kommission erhalten, kaum.« (FAZ vom 17.6.2014) Nach einer Aufstellung des Europäischen Parlaments hatte die Kommission 2013 gegenüber EU-Mitgliedsländern insgesamt 141 sogenannte Reformempfehlungen ausgesprochen. Davon seien aber tatsächlich nur zwölf »substantiell« und eine »voll« verwirklicht worden. In 65 Fällen wurde »einiger Fortschritt« verzeichnet, in 59 »begrenzter Fortschritt«, und in vier Fällen geschah gar nichts.

Auf Kurs bringen

Es kann daher nicht verwundern, dass angesichts des offenkundigen Unwillens der Mitgliedsländer, allen Vorgaben der Brüsseler Technokraten zu folgen, weiter intensiv nach Wegen gesucht wird, wie man sie effektiver dem europäischen Regiment unterwerfen kann. Gefragt wird danach, ob es nicht möglich ist, sie einzeln per Vertrag auf die Vorgaben der Kommission zu verpflichten. Vorbild dafür wären die Memoranden, auf die sich Griechenland, Irland, Portugal und Zypern jeweils mit den kreditgewährenden Institutionen Europäische Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds einlassen mussten. Die Memoranden haben sich schließlich als geeignetes Mittel erwiesen, um diese Staaten in den Griff zu bekommen, erlauben sie doch die von Schäuble und Draghi gewünschten »direkten Durchgriffsrechte auf die Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten«. Warum sollte es also nicht möglich sein, mit Hilfe dieses Instruments auch die übrigen Euroländer auf Kurs zu bringen? Gelänge dies, so würden nicht länger mehr alleine Regierungsprogramme Grundlage nationalstaatlicher Politik sein, sondern vielmehr die Ergebnisse der Verhandlungen der jeweiligen Regierung mit der Europäischen Kommission. Brüssel säße dann direkt mit an den Kabinettstischen der Mitgliedsstaaten. Wahlen auf Ebene der Nationalstaaten würden dementsprechend weiter an Bedeutung verlieren und die Möglichkeit der Einflussnahme von unten durch Protest- und Widerstandsbewegungen geringer werden.

Der Vorschlag, die Staaten jeweils separat gegenüber der Kommission zu »Reformen« zu verpflichten, war erstmals in einem Bericht unter der Überschrift »Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion« enthalten, den der Präsident der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Herman Van Rompuy, EZB-Präsident Mario Draghi und Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Oktober 2012 dem Europäischen Rat vorgelegt hatten. Der Report war von diesem Gremium der Staats- und Regierungschefs im Juni in Auftrag gegeben worden. In ihm wurden verschiedene Maßnahmen erörtert, etwa die Einrichtung einer europäischen »Fiskalkapazität«, mit der in den Staaten »Reformen«, vor allem auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen, angeschoben werden sollen. Auch die alte Forderung nach Euro-Bonds findet sich dort wieder. All dies war aber nur Beiwerk für die deutschen Politiker. Ihr Augenmerk galt anderem. Die FAZ vom 15.10.2012 vermerkte dazu: »Wichtiger für die deutsche Seite dürfte vor allem sein, ob es im weiteren Verlauf der Debatte gelingt, die Idee aufrechtzuerhalten, dass sich die Staaten gegenüber der Kommission vertraglich zu Reformen verpflichten. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die Staaten die ›länderspezifischen Empfehlungen‹, in denen die Kommission ihnen einmal im Jahr Vorgaben für Strukturreformen macht, bisher nicht ernst nehmen (gemeint sind die Forderungen der Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters, A.W.). In dem Vertrag mit der Kommission sollen die Staaten die meist vagen Vorgaben der Behörde konkretisieren und mit einem Zeitplan versehen.«

Bei einer erneuten Beratung des Berichts der vier Präsidenten im Europäischen Rat im Dezember 2012 kam Kritik daran auf, dass das Papier ohne Absprache mit den nationalen Regierungen geschrieben worden sei. Mit dieser Begründung verweigerte man nun einen Beschluss darüber und einigte sich allein darauf, den weiteren Zeitplan »in einem Konsultationsprozess mit den Mitgliedstaaten« auszuarbeiten. Die Gründe für den Abbruch der Beratungen dürften aber woanders zu suchen sein. Ende 2012 waren die zäh verlaufenden Verhandlungen über eine europäische Bankenaufsicht noch nicht abgeschlossen. Sie aber wollte man nicht mit weiteren, parallel laufenden Vorhaben des Europäischen Rats belasten. Erst im Herbst 2013 gelang es, einen Beschluss über die Bankenaufsicht zu erreichen. Zudem standen die Bundestagswahlen im September 2013 und die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 an. Für eine hinreichende Beratung der Vorschläge von Juncker, Van Rompuy, Draghi und Barroso in beiden Parlamenten wäre die Zeit knapp geworden. So verschwand das Papier in den Ablagen, zum Ärger vor allem des damaligen Euro-Gruppenchefs Juncker. Der ließ verlauten, »dass er mit der Absenkung des Anspruchsniveaus in hohem Maße unzufrieden« sei. »Ich hätte mir gewünscht, dass das von den vier Präsidenten zusammengestellte Gesamtmaterial die Hürde dieses Europäischen Rats mühelos überwunden hätte.« (FAZ 15.12.2012)

Lästige Unsicherheiten

Doch in der Europäischen Union gilt, dass ein Projekt dann nie aufgegeben wird, wenn das große Kapital wirklich ein Interesse daran hat. So war es etwa mit der in Volksabstimmungen gescheiterten »EU-Verfassung«, der nur wenige Jahre später, zunächst als Reformvertrag und schließlich als Lissaboner Vertrag, so gut wie unverändert wieder auftauchte. Und so scheint es heute mit dem Plan zu sein, Vereinbarungen zwischen der Kommission und den Mitgliedsstaaten zur Durchsetzung von »Reformmaßnahmen« zu schließen. Es war ausgerechnet Juncker, nun in seiner neuen Funktion als Kommissionspräsident, der auf dem EU-Ratstreffen am 11. Februar 2015 dieses Vorhaben wieder ans Licht holte und damit genau dort wieder anknüpfen konnte, wo er im Dezember 2012 als Eurogruppenchef aufhören musste. In dem von ihm jetzt im Februar vorgetragenen »Bericht zur Vorbereitung der nächsten Schritte für eine bessere Wirtschaftsregierung im Euroraum« 3 wird direkt auf den Plan der vier Präsidenten vom Dezember 2012 Bezug genommen, indem der ausdrücklich als »weiter gültig« bezeichnet wird. So ist also damit zu rechnen, dass man bald versuchen wird, solche Verträge Wirklichkeit werden zu lassen. Gelänge dies, so käme man der lang angestrebten europäischen Wirtschaftsregierung und zugleich der Entmachtung der Nationalstaaten einen großen Schritt näher. Die Europäische Union hätte sich dann endgültig als ein nicht abwählbares supranationales Regime, das den Mitgliedsländern bis in die Einzelheiten hinein Vorgaben machen kann, etabliert.

Der frühere Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, Wolfgang Streeck, hat darauf hingewiesen, dass dem Vordenker des Neoliberalismus, Friedrich A. Von Hayek, genau solch ein supranationales Regime vorschwebte, als er über Möglichkeiten einer dauerhaften Ausschaltung der aus Wahlen resultierenden lästigen Unsicherheiten für den kapitalistischen Produktionsprozess nachdachte. 4

Anmerkungen:

1 Martin Schulz, Der gefesselte Riese. Europas letzte Chance. Berlin 2013, S. 258

2 Euractiv.de, “ Two Pack”: EU-Haushaltsüberwachung wird verstärkt vom 27.05.2013, auf: http://www.euractiv.de/finanzen-und-wachstum/artikel/two-pack-eu-haushal...

3 Preparing for next Steps on Better Economic Governance http://ec.europa.eu/priorities/docs/economic-governance-note_en.pdf

4 Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Berlin 2013, S. 141 ff.

 

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