Der nächste, bitte!

Sucht man in Buchhandlungen nach Literatur über die aktuelle Wirtschaftskrise, so stößt man unweigerlich auf das Werk »Kasinokapitalismus« des Leiters des Münchener ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. Darauf klebt ein kleiner Zettel: »Vollständig aktualisierte Ausgabe«. Und tatsächlich wird im Impressum der Juni 2010 als Monat der Herausgabe angegeben. Schlägt man darin das Kapitel über gefährdete EU-Defizitländer auf, so findet man Ausführungen zu Griechenland, Irland, Portugal, aber auch zu Österreich und seitenweise zu Italien– kein Wort indes zu Spanien. Stattdessen wird dieses Land an anderer Stelle ausdrücklich für die effektive Kontrolle seiner Banken gelobt. Sinns Buch beweist einmal mehr, wie sich die herrschende Wirtschaftslehre doch irren kann!

Tatsächlich hatte es lange so ausgesehen, dass die ganz große Krise am iberischen Land vorübergehen werde: Griechenland, ja, natürlich! Portugal und Irland, sehr wahrscheinlich. Italien, wen würde es wundern? Aber Spanien? Und so konnte man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30.April 2010 noch lesen: »Zur möglichen Ausbreitung der Griechenland-Krise auf andere europäische Länder sagt Karsten Stroh, Fondsmanager von J.P. Morgan Asset Management: ›Die Lage in Portugal und Spanien ist alles andere als gut, aber sie ist besser als in Griechenland. Ökonomisch betrachtet gibt es – insbesondere für Spanien – keinen Grund, von einer baldigen Ansteckung dieser Länder zu sprechen. Allerdings gibt es dafür auch keine Gewähr, weil an den Märkten eben die Psychologie entscheidend ist und viele Investoren die Ansteckungstheorie gerade für Portugal für möglich halten.‹«

Einmal mehr haben sich Wirtschaftswissenschaftler und Medien vom Zahlenwerk der Europäischen Union blenden lassen. Brüssel bewertet die Finanzstabilität eines Landes nun einmal ausschließlich nach den Kriterien von Maastricht. Danach gilt ein Land als finanzpolitisch stabil, das eine Gesamtverschuldung von weniger als 60 Prozent und eine jährliche Nettoneuverschuldung von nicht mehr als drei Prozent aufweist. Geht es nur nach diesen Kriterien, so steht Spanien im europäischen Vergleich nicht einmal schlecht da. Zwar fiel das Jahresdefizit 2009 mit 11,2 Prozent hoch aus, es lag damit aber noch unter dem Großbritanniens (12,1), Irlands (12,5) bzw. Griechenlands (12,7). Niedrig ist hingegen die Gesamtverschuldung des Landes. Sie beträgt »nur« 54,3 Prozent und ist damit deutlich geringer als die Deutschlands mit 73,1 oder Frankreichs mit 76,1 Prozent. Schon gar nicht ist diese Verschuldung mit der Belgiens (97,2) Griechenlands (112,6) oder mit dem europäischen Spitzenreiter Italien (114,6 Prozent) vergleichbar.

EU kennt nur Staatsschulden

Angesichts solcher Zahlen dürfte von einer drohenden Staatspleite Spaniens eigentlich keine Rede sein. Und doch meldete die Financial Times Deutschland (FTD) am 10.Juni: »Beim Beschluss über den Rettungsschirm Anfang Mai hatte vor allem Portugal als erster Kandidat gegolten, der nach Griechenland auf Kredite aus dem Rettungsfonds angewiesen sein könnte. Inzwischen bereitet Spanien mehr Sorgen.« Und: »Die Euro-Staaten stellen sich auf finanzielle Nothilfen für Spanien ein. Wenn sich die Probleme im Bankensektor des Landes verschärfen, soll der iberische Staat Kredite aus dem 750 Milliarden Euro schweren Rettungsschirms von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds (IWF) erhalten.«

Weshalb haben sich so viele so gründlich geirrt? Die berühmten Maastricht-Kriterien berücksichtigen allein die Verschuldung von Staaten, nicht aber die der Banken, Unternehmen und Privatpersonen. Von denen sind aber in ­Spanien überdurchschnittlich viele schlichtweg pleite. Doch diese Verschuldung zählt in Brüssel nicht, auf diesem Auge ist man blind. So gilt nicht allein Spanien, sondern gelten auch die baltischen Länder sowie Rumänien und Bulgarien nach diesen Kriterien als stabil. In Wahrheit sind auch dort Banken, Unternehmen und Privatleute hoffnungslos überschuldet. Mit Estland soll nun einer dieser Pleitestaaten zum 1. Januar 2011 Mitglied der Euro-Zone werden dürfen. Übrigens drückt all diese Länder eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit. In Spanien liegt die Quote bei 19 Prozent. Übertroffen wird sie nur noch von jener der baltischen Länder, etwa der Estlands, dem zukünftigen Euro-Land. Dort beträgt sie 19,8 Prozent. Doch auch die Erwerbslosenrate zählt nicht in der Europäischen Union. Den sozialen Verhältnissen in den Mitgliedsländern stehen die Brüsseler Finanztechnokraten grundsätzlich gleichgültig gegenüber.

Bei der »Rettungsaktion« geht es auch nicht um den spanischen Staat. Es geht um die Rettung des spanischen Finanzsystems. Hierzu noch einmal die FTD vom 10.Juni: »Mit dem Geld sollen von der Pleite bedrohte spanische Sparkassen und Banken gestützt werden, falls das Land die Schieflage nicht allein in den Griff bekommt.« Und die Kreditrisiken für Sparkassen und Banken sind hoch. Sie könnten am Ende bis zu 166 Milliarden Euro betragen. Um sie abzuwenden, werden schwindelerregend hohe Mittel benötigt, allein im laufenden Jahr schätzen sie die Analysten vom Finanzdienstleister Unicredit auf 135 Milliarden Euro.

Hauptgläubiger sind Banken

Die um ihr Geld fürchtenden Gläubiger befinden sich keineswegs nur in Spanien. Nach einem Bericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hatten allein deutsche Banken Ende 2009 in Spanien Kredite über insgesamt 202 Milliarden US-Dollar vergeben. Mit 109 Milliarden Dollar machten die Forderungen gegenüber spanischen Banken den größten Teil aus. Noch höher ist das Engagement französischer Banken mit 248 Milliarden Dollar. Davon sind die Darlehen an Unternehmen und Haushalte der größte Posten. So sind es, wie schon im Fall der »Hilfe für Griechenland«, erneut die Banken, die herausgehauen werden sollen, für die das Bail-out organisiert wird. Selbst der FAZ dämmert, wer die wirklichen Profiteure sind: »Die Einschätzung, dass es sich bei dem 750 Milliarden Euro schweren Rettungspaket der EU um ein weiteres Hilfspaket für Banken handelt, trifft erst recht im Fall von Spanien zu.« (FAZ vom 14.6.2010)

So ist es wahrscheinlich, dass die Mittel des EU-Rettungsschirms, also Geld der europäischen Steuerzahler, bald genau für diesen Zweck verwendet wird. Schon schlagen die Gewitterherolde der Finanzmärkte, die Ratingagenturen, Alarm. Ende April stufte die Agentur Standard & Poor’s Spaniens Bonität auf die dritthöchste Stufe AA herab. Am 28. Mai folgte die Agentur Fitch, sie kürzte die Bonitätsnote von AAA auf AA+. Solche Abstufungen haben verheerende Auswirkungen, denn viele Investoren, vor allem Versicherungen und Pensionsfonds, unterliegen der Pflicht, sich umgehend von Anleihen eines Staates zu trennen, der die Bestnote verliert. Kaum wurde die zweite Herunterstufung bekannt, büßte der Euro am 28. Mai auf dem Devisenmarkt prompt einen Cent gegenüber dem Dollar ein. Diese Rückwirkung auf den gesamten Euro-Raum ist nicht überraschend, ist Spanien doch, anders als etwa Griechenland, kein Leichtgewicht innerhalb der EU. Mit einem Anteil von 12,2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bringt es deutlich mehr als Griechenland mit seinen 2,2 Prozent auf die Waage. Betrug das griechische BIP in absoluten Zahlen im Jahr 2009 237 Milliarden, das portugiesische sogar nur 164, so lag das spanische bei 1051 Milliarden Euro.

Mit der nun so plötzlich aufgebrochenen Krise scheitert in Spanien ein »Entwicklungsmodell«, das, wie in kaum einem zweiten Land der EU, auf Pump aufgebaut war. Es handelt sich um das klassische Beispiel einer schuldenbasierten Ökonomie, die nun an ihr Ende gekommen ist. In der Krise ist eine Wirtschaft, die auf hemmungsloser Immobilienspekulation beruhte. Das spanische Desaster gleicht dem Irlands, Großbritanniens und dem der baltischen Länder. Überall war die Immobilie als Spekulationsobjekt ein sicherer Tip. Der spanische Staat, die Finanzinstitute, die Firmen des Landes sowie die Privathaushalte stehen heute für eine Verschuldung von 390 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit ist dieses Defizit doppelt so groß wie das in Deutschland. »Zwischen 2005 und 2010 (…), also noch tief in den guten Jahren, hat sich die Schuldensumme der spanischen Familie praktisch verdoppelt. Selbst wenn man die Belastung durch Baukredite nicht mitrechnet, ist die Zahl gigantisch. Heute sind spanische Privathaushalte mit Krediten von fast 50 Milliarden Euro beladen. Zwei Drittel aller spanischen Familien bedienen drei oder mehr Kredite.«1

Brüssel diktiert Bedingungen

Der spanische Immobilienwahn stellt nicht allein ein ökonomisches Desaster dar, er ist auch eine Katastrophe für die Raumordnung und für die Ökologie. Der Film »Let’s make Money« (Österreich 2008; Regie: Erwin Wagenhofer) vermittelt uns einen plastischen Eindruck davon, was dieser Wahn in der Realität angerichtet hat. Minutenlang erlebt man darin einen Flug über nicht enden wollende, leerstehende Ferienhausanlagen, über riesige Parkplätze und über ungenutzte Autobahnen. Eine einzige Ödnis aus Beton! Errichtet wurde sie von schlecht bezahlten und unter erbärmlichen Bedingungen hausenden Arbeitern, die dafür aus Marokko oder der Ukraine herangeholt wurden. Kaum fertig, zeigen die Häuser bereits Zerfallserscheinungen, da an Sorgfalt und Materialien gespart wurde. Hineingestellt in eine nun zerstörte, da zersiedelte Landschaft, stellen diese Bauten eine gigantische Vergeudung von Arbeitskraft, Geld und natürlichen Ressourcen dar. Es ist kaum eine sinnbildlichere Demonstration der Irrationalität des Finanzkapitalismus vorstellbar als diese riesigen Geisterstädte an der Mittelmeerküste. Der in Spanien über 15 Jahre andauernde Immobilienboom lockte viel Geld deutscher, französischer und anderer ausländischer Banken an. Die scheinbar unaufhaltsam steigenden Preise für Wohnungen und Geschäftshäuser garantierten ja einfache und stetige Gewinne. So heißt es denn auch im Plot des Films »Let’s make Money«: »Die meisten von uns wissen nicht, wo ihr Geld ist. Eines jedenfalls ist sicher, es ist nicht auf der Bank, der wir es anvertraut haben. Die Bank und unser Geld sind bereits in den Kreislauf des globalen Geldmarkts integriert.« Und nicht wenig von diesem, den deutschen Banken in bestem Glauben anvertrauten Geld steckt heute in bröckelndem spanischen Beton.

Doch natürlich sollen die dafür ausgereichten Kredite, bitte schön, auf Euro und Cent pünktlich zurückgezahlt werden. Und da von den Immobilienfirmen und den einheimischen Sparkassen kaum mehr etwas zu holen ist, soll nun gefälligst der spanische Staat einspringen. Und hat er kein Geld dafür, so soll er es eben anderen nehmen, den Arbeitenden und den Armen.

Aus Lenins Broschüre »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus« kam man erfahren, wie in früheren Zeiten die englischen Finanzmagnaten störrischen Schuldnern beikamen. Britische Kanonenboote erschienen kurzerhand als Gerichtsvollzieher vor deren Küsten, das genügte meist. Heute, in der Europäischen Union, geht man subtiler vor. Man lädt die Regierungschefs der Defizitländer zum Europäischen Gipfel, wo ihnen die Vertreter der mächtigen Gläubigerstaaten die Bedingungen diktieren. So geschehen am 7.Mai 2010 als der spanische Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero von seinen europäischen Kollegen gesagt bekam, was er nun zu tun habe. Zur Darstellung des Vorgefallenen genügt es, den FAZ-Bericht darüber zu zitieren: »Für den ›ewigen Optimisten‹ José Luis Rodriguez Zapatero kam der Realitätsschock am vorigen Freitag in Brüssel. Nur wenige Tage zuvor hatte er in Madrid dem konservativen Mariano Rajoy eine Abfuhr erteilt und alle ›drastischen‹ Sparmaßnahmen im Staatshaushalt abgelehnt. Doch dann setzten die EU-Partner den Spanier – und auch den portugiesischen Ministerpräsidenten José Sócrates – unter Druck. Das Ergebnis: Zapatero versprach für das laufende und das nächste Jahr zusätzliche Einsparungen von 15 Milliarden Euro. Sócrates zog mit und sagte milliardenschwere Großprojekte ab.« Und über die spanische Finanzministerin Elena Salgado wurde berichtet: »Sie kam dabei noch vergleichsweise leicht davon. Einige der Partner – vornweg Deutschland, die Niederlande und Finnland – wollten, dass Spanien wesentlich stärker spart, als es bereit war. Bundeskanzlerin Merkel, so rechneten die spanischen Zeitungen am Dienstag nach, verlangte sogar 35 Milliarden zum Zeichen, dass es den spanischen Sozialisten mit dem Abbau des Defizits wirklich ernst sei.« Der FAZ-Bericht scheut auch nicht, in aller Offenheit und Klarheit darzulegen, wem dieses Diktat nützt: »Als dieses Resultat zusammen mit dem Merkel-Verdikt, die beiden iberischen Länder stünden fortan ›unter Beobachtung‹ bekannt wurde, brannte die Börse nirgendwo ein solches Feuerwerk ab wie in Madrid. Der Anstieg der Kurse von 14,4 Prozent am Montag war der höchste in der Geschichte des Landes (…). Oppositionsführer Rajoy, der solche Schritte von Zapatero seit Monaten verlangt hatte, war voll des Lobes für die EU: ›Europa hat ihm die Leviten gelesen‹ sagte er und fügte hinzu: ›Was er nicht mit der Volkspartei abmachen wollte, muss er nun unter Aufsicht tun. Wir haben viele Monate Zeit verloren. Aber wir unterstützen ihn, wenn er wirklich tut, was er tun muss.‹«2

Finanzkapital macht Druck

Die Unterwerfung Zapateros, oder, wie es so lyrisch und zugleich hämisch ausgedrückt wurde, »der Wandel von einem Apologeten der sozialen Rechte in einen Schnitter des Sozialstaats in Bedrängnis« (FAZ vom 12.6.2010), wurde von den Herrschenden gut abgesichert. Selbst US-Präsident Barack Obama meldete sich telefonisch bei Zapatero und verlangte von ihm umgehend Korrekturen in der spanischen Regierungspolitik. Dazu muß man wissen, daß es auch um Kredite US-amerikanischer Banken geht. Die zehn größten amerikanischen Institute halten gegenüber den Regierungen von Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und Italien offene Positionen in Höhe von rund 60 Milliarden Dollar. Das sind etwa neun Prozent ihres Kernkapitals.«3

Auch der Chef der Deutschen Bank schaltete sich ein. Er reiste eigens nach Madrid. »Dort erläuterte Josef Ackermann dem Spanier, wie und warum sich die Märkte so bewegten, wie sie dies tun und welches Verhalten der internationalen Investoren dahinter stecke.« (FAZ vom 12.6.2010) Mit entsprechender Absicht hatte Ackermann bereits den griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Andrea Papandreou in Athen am 26. Februar 2010 aufgesucht und »beraten«.

Da dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass die berühmte Bilderberg-Konferenz vom 3. bis 6.Juni 2010 ausgerechnet in Spanien ihre Jahrestagung abhielt. Im vorangegangenen Jahr war sie ebenso zufällig in der Nähe Athens zusammengekommen. Prompt ging es anschließend mit Griechenland bergab. Unter den zur Verschwiegenheit verpflichteten Teilnehmern, die in Limousinen mit abgedunkelten Scheiben anreisten, war alles, was im internationalen Geldadel Rang und Namen hat. Der Kreis reichte von Rupert Murdoch über Bill Gates, schloss alle großen Bankchefs mit Josef Ackermann an der Spitze ein, umfasste George Soros, sowie die Spitzen von Coca-Cola und der großen Mineralölkonzerne. Hinzu kamen die diesen Magnaten verpflichteten Politiker wie der EZB-Chef Jean-Claude Trichet, der Chef des Internationalen Währungsfonds Dominique Strauss-Kahn und der US-amerikanische Finanzminister Timothy Geithner.4 Der spanische Ministerpräsident durfte den Gastgeber geben. Voller Häme titelte die Frankfurter Allgemeine: »Vom Zauberberg zum Bilderberg. Der spanische Ministerpräsident Zapatero trägt den Reichen und Mächtigen vor.« (FAZ vom 7.6.2010)

Sozialdemokratie wird geschliffen

Gegenüber den Bilderberg-Mächtigen konnte Zapatero Vollzug melden. Am 12. Mai hatte er in einer Rede vor dem spanischen Parlament all das abgeräumt, für was er als sozialistischer Ministerpräsident und Hoffnungsträger der europäischen Sozialdemokraten einmal stand. Nun verkündete er das Einfrieren der Renten, die Senkung der Beamtengehälter, Einschränkungen bei den Hilfen für alte und kranke Menschen sowie bei Zuzahlungen für Medikamente. Beendet wird auch die Auszahlung der als »Baby-Scheck« gerühmten Zahlung von 2500 Euro für jedes Kind. Zugleich wurde die Absicht bekanntgegeben, die Hilfe für Langzeiterwerbslose zu kürzen und eine grundlegende Arbeitsmarktreform im Sinne der Unternehmen durchzusetzen, notfalls auch gegen den Widerstand der Gewerkschaften.5 An den Privilegien der Reichen und Superreichen des Landes wird natürlich nicht gerührt. Aber das ist ja auch nichts Neues. Unter der Regierung Zapatero wurden schon bisher keine Steuern auf Luxusgüter erhoben, und die Vermögenssteuern wurden sogar abgeschafft. Als Sozialdemokrat ist Spaniens Ministerpräsident zukünftig ebensowenig mehr ernstzunehmen wie sein portugiesischer Amtskollege Sócrates. Den zwangen die in Europa Mächtigen in eine Quasikoalition mit seinen konservativen Widersachern. Er ist fast so tief gefallen wie Papandreou, der als griechischer Ministerpräsident und Vorsitzender der Sozialistischen Internationale (!) nur noch eine Puppe in der Hand des Finanzkapitals ist. Es ist ein kaum beachteter Nebenaspekt der Krise, dass in ihr die letzten Bastionen der europäischen Sozialdemokraten geschliffen werden. Dort, wo sie noch in der Regierung sind, dürfen sie lediglich die Drecksarbeit für die Kapitalmärkte verrichten, bevor auch sie verschwinden.

Die Krise führt zu einer neuen Verteilung der Macht in der Europäischen Union. Spanien ist in ihr als eine führende Nation nicht mehr vorgesehen. Der spanische Schriftsteller Rafael Chirbes faßte zusammen, was geschehen ist: »Von beiden Ufern des Atlantiks aus wurde uns Spaniern signalisiert, wir seien kein souveränes Land, sondern ein interveniertes. Etwas Ähnliches wie Anfang des vorigen Jahrhunderts Marokko für Spanien: ein Protektorat.«6

1 Paul Ingenday, »Erreicht dieses Land das Monatsende?« in: FAZ vom 1.7.2010
2 »Realitätsschock für Zapatero«, in: FAZ vom 12.5.2010
3 »Amerika sorgt sich über Europas Schuldenkrise«, in: FAZ vom 25.5.2010
4 Zum Charakter der Bilderberg-Konferenz vgl. auch »Von Bilderberg geht ›soft power‹ aus«, in: junge Welt vom 11.6.2010
5 Vgl. Ingo Niebel, »Warten auf Madrid«, in: junge Welt vom 15.6.2010
6 Rafael Chirbes, »Mit den Kannibalen am Tisch«, in: FAZ vom 26.5.2010

Zurück

Zurzeit sind keine Nachrichten vorhanden.

Mein Newsletter

Abonnieren Sie den Newsletter von Andreas Wehr. Der Newsletter informiert unregelmäßig (10 bis 12 mal im Jahr) über Publikationen, Meinungen und Bucherscheinungen und wird über den Newsletter-Anbieter Rapidmail versendet.