Auf Illusionen gegründet
Giorgos Chondros: Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas. Der Propagandakrieg gegen Syriza, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2015, 240 S., 16,99 €
Giorgos Chondros begegnete ich Anfang Februar, kurz nach dem Wahlsieg von Syriza. Linke Sozialdemokraten hatten ihn in das Berliner taz-Café geladen, um mit ihm über die Perspektive der neuen Regierung zu diskutieren. Ab diesem Tag sah und hörte ich ihn immer wieder – im Fernsehen und im Radio. Von Januar bis September war er nicht weniger als fünfmal in Talkshows von ARD und ZDF zu sehen, hinzu kamen zahlreiche Radiointerviews. Giorgos Chondros wurde so etwas wie der Sonderbotschafter Syrizas in Deutschland.
In seinem Buch »Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas« hat er jetzt viele der bei diesen Gelegenheiten von ihm vorgebrachten Argumente zusammengefasst und präzisiert. Er beschreibt die Umwandlung der europäischen Krise in ein »griechisches Problem«. Er schildert mit ergreifenden Worten die humanitäre Situation seines Landes. Und er präsentiert eine Fülle von Fakten, die selbst für diejenigen neu sind, die sich schon lange mit Griechenland befassen. Im Kapitel »Die Propaganda gegen Syriza und die von ihr geführte Regierung« gibt er seine intimen Erfahrungen mit den deutschen Medien wider. Er nennt jene beim Namen, die in ARD und ZDF tricksen und auch mal frech lügen. Nachgezeichnet wird schließlich der Aufstieg Syrizas und die Krise, in die sie jetzt geraten ist. Das Buch endet mit einem Ausblick auf »die Zukunft Europas«.
Zurück ins taz-Café im Februar 2015: Die Anwesenden hörten den Ausführungen von Chondros aufmerksam zu, zeigten aber kaum Empathie. Der europapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Norbert Spinrath, beharrte auf den Positionen seiner Partei: kein Schuldenschnitt, keine Erleichterungen. Je mehr Zeit verging, umso isolierter, ja verzweifelter wurde die Position von Chondros. Doch da wurde der griechische Gast plötzlich milde und beschwor das »gemeinsame Projekt eines sozialen Europas«. Schließlich antichambrierte er offen, man sei doch hier »unter Genossen«. Genützt hat es ihm jedoch nicht, die Mauer der Ablehnung konnte er nicht durchbrechen. (vgl. jW vom 4.2.15)
Wie Chondros in Kreuzberg wurden auch Alexis Tsipras und Gianis Varoufakis in Paris, Rom, Brüssel, Wien und Berlin kalt abgefertigt. Und womöglich hatten auch sie bei den sozialdemokratischen Präsidenten und Ministern auf die »Kumpeltour« gesetzt. Schon früh zeigte sich das ganze Dilemma von Syriza. Viel ist darüber geschrieben worden, dass sie – wie auch Chondros zugibt – »keinen echten Plan B zum Herauswinden aus dem erpresserischen ›Diktat Memorandum oder Drachme‹ hatte«. Doch die Wahrheit ist weit schlimmer: Sie hatte nicht einmal einen Plan A, vorausgesetzt man sieht nicht im bloßen Prinzip Hoffnung bereits einen solchen Plan. Ihre gesamte Strategie lässt sich in einer Aussage von Tsipras zusammenfassen: »(…) wir müssen einen politischen Kampf an zwei Fronten führen. Zum einen zu Hause, zum anderen in Brüssel, Frankfurt und Berlin. Hier müssen wir unsere Partner davon überzeugen, dass der heute verfolgte Kurs uns alle, das heißt alle Europäer, in eine schreckliche Sackgasse führt«. (Le Monde diplomatique vom 13.12.2013). Doch die »Partner« ließen sich nicht »überzeugen«, sie verfolgen ihren Kurs, der zwar für Griechenland, aber eben nicht für sie katastrophal ist, unbeirrt weiter. Und damit war bereits die gesamte Strategie von Syriza an ihr Ende angelangt. Die »Kapitulation« durch die Unterzeichnung der Vereinbarung mit den Euro-Ländern am 13. Juli durch Tsipras war nur der vorläufig letzte Akt.
Diese sture Haltung der »Partner« wird nun von den linken Kritikern als ignorant, ungerecht, erpresserisch bzw. als »kalte Ausbeutung« (Chondros) bezeichnet. Doch dies alles bleiben larmoyante Klagen. Dass die Pläne von Syriza letztlich auf Illusionen gründeten, erkennt selbst Chondros an, wenn er von ihrer »voluntaristischen Einstellung« spricht.
Nach dieser »Juli-Kapitulation« (Chondros) verließ der Autor nicht wie viele andere die Partei, obgleich er durchblicken lässt, dass er manche Kritik der Ausgetretenen teilt, etwa die am autokratischen Führungsstil von Tsipras. Zusammen mit Finanzminister Euklid Tsakalotos gehört er weiter der innerparteilichen »Gruppe 53+« an, benannt nach der Anzahl ihrer Mitglieder im Zentralkomitee der Partei. Sie bezeichnet das neue Memorandum zwar als undurchführbar, hält aber gleichzeitig der neuen Syriza-Regierung die Treue, die genau dieses umzusetzen hat. Eines Tages dann soll die Partei auf ihren alten Kurs zurückkehren und ihr ursprüngliches Programm verwirklichen. Man muss nicht so weit wie Nikos Chilas gehen, der dies in FaktenCheck Hellas 5 als »einen seltenen Fall hochgradiger Schizophrenie« bezeichnete, um diese Hoffnungen als unrealistisch zu erkennen. Unrealistisch sind auch die Vorstellungen des Autors von einer sozialen und demokratischen EU, die er am Ende seines Buches entwickelt. Hier gibt er sich Tagträumen »von einer gesamteuropäischen Organisation von denen ›da unten‹« hin. Die sollen nach ihm »zu einem gesamteuropäischen Handeln im Kampf gegen die Austeritätspolitik« gebracht werden. Dabei setzt er sogar auf eine Wandlung der SPD.
Über die einzig realistische Strategie für Griechenland, nämlich sein Ausscheiden aus der Euro-Zone, wie sie etwa von Costas Lapavitsas detailliert entwickelt wurde, verliert Chondros hingegen kaum ein Wort. Der »Grexit« würde nach ihm lediglich zu einem »Blutbad« führen.
Das Buch von Giorgos Chondros kann natürlich nicht – wie es der marktschreierische Titel meint – »die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas« bieten. Aber es liefert wichtige Informationen, um ihr näher zu kommen. Es ist daher ein lesenswertes Buch.
Der Text erschien am 26.10.2015 in der Tageszeitung Junge Welt
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