Andere Europapolitik
Die Zeit war schon vorgerückt in der Bundestagsdebatte über Finanzhilfen für Griechenland am 27. Februar, als der SPD-Rechte Johannes Kahrs das Wort erhielt. Er nahm sich die Linksfraktion vor, deren Vorsitzender Gregor Gysi zuvor angekündigt hatte, dem Antrag der Bundesregierung zustimmen zu wollen. Genüsslich zitierte er aus dem Protokoll der Debatte von Dezember 2014, als es auch schon um die Verlängerung eines Hilfsprogramms ging. Damals hatte Dietmar Bartsch ausgerufen, dass der Kurs der Bundesregierung falsch sei: »Wir lehnen ihn ab, weil er im Kern ein Weihnachtsgeld für die Spekulanten ist. Dass wir dabei mitmachen, werden Sie niemals erleben.« Kahrs bezichtigte Bartsch nun der »Lüge«, denn unter den 41 Ja-Stimmen aus den Reihen der Linken war auch die von Bartsch.
Den dürfte das kaum gestört haben. Anders Sahra Wagenknecht: »Wir haben im Bundestag nicht über das griechische Regierungsprogramm abgestimmt, sondern über einen Antrag der Bundesregierung, der auf genau diese katastrophale Politik der Auflagen und Kürzungsdiktate positiv Bezug nimmt und ihre Fortsetzung einfordert«, schrieb sie in einer am Freitag verbreiteten Erklärung. »Wir haben damit unsere bisherige europapolitische Positionierung zumindest infrage gestellt und geben den anderen Parteien die Gelegenheit, uns in Zukunft mit diesem Widerspruch vorzuführen.«
Der Verzicht von Wagenknecht auf den Fraktionsvorsitz ist ein Schlag für die Fraktion und für die Partei. Ihre innerparteilichen Gegner können indes ihre Genugtuung nicht verbergen. Gregor Gysi: »Die Erklärung von Sahra Wagenknecht ist auf der einen Seite zu bedauern und auf der anderen Seite zu respektieren. Entscheidend ist, wie sie erklärt, dass ihr die spezifische Leitungstätigkeit nicht liegt.« Das ist nichts andres als übles Nachtreten. Zur Sache, die Aufgabe der Position in der Europapolitik, schweigt er aber.
Es ist kein Geheimnis, dass Wagenknechts Entscheidung auch der katastrophalen Situation des linken Parteiflügels geschuldet ist. In der Griechenlandabstimmung hat er sich vollständig zerlegt. Seine Anhänger fanden sich am Ende in allen Lagern: Beim Ja, beim Nein und bei den Enthaltungen. Führende Vertreter der »Sozialistischen Linken« hatten zuvor in der Fraktion sogar massiv für Zustimmung geworben. So etwas nennt man wohl »Friendly fire«.
In der Linkspartei dürfte die Zeit der alles verdeckenden Formelkompromisse jetzt vorbei sein. Auf dem Tisch liegt endlich die Frage, ob der verhängnisvolle Weg der Partei in die Arme der SPD auf Bundesebene noch aufzuhalten ist. Bei der Zustimmung der Fraktion ging es ja gar nicht um Solidarität mit Syriza. Es ging um eine »andere Europapolitik«. Genau die verlangt die SPD als eine der Bedingungen für eine mögliche Zusammenarbeit mit der Partei Die Linke nach den nächsten Bundestagswahlen.
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